KARDIOTOXIZITÄT VON COX-2-HEMMERN -
Erneut Daten unterdrückt, Klasseneffekt bestätigt |
Erinnern Sie sich noch? Als Rofecoxib (VIOXX, MSD) Ende September 2004 wegen kardiovaskulärer Toxizität vom Markt genommen wurde,
reagierte die Firma Pfizer mit einer groß angelegten Werbekampagne, um aus dem Absturz für die eigenen Cox-2-Hemmer Profit zu schlagen. In Schreiben
an Ärzte und Apotheker, denen ein "Literaturpaket" beigefügt war, betonte die Firma die "kardiale Sicherheit" von Celecoxib (CELEBREX) und Valdecoxib (BEXTRA).1 Bereits eine Woche später musste Pfizer zurückrudern und einräumen, dass für Valdecoxib und
seine parenteral anwendbare Vorstufe Parecoxib (DYNASTAT) zwei Studien mit
Bypasspatienten vorliegen, in denen das kardiovaskuläre Risiko der Anwender im Vergleich zu den Plazebogruppen signifikant ansteigt (a-t 2004; 35: 125-6).
Wie sich jetzt herausstellt, hat Pfizer darüber hinaus ungünstige Daten einer Studie mit Celecoxib, die bereits im Jahr 2000 abgeschlossen war,
unterdrückt.2 Auch in dieser Studie mit ALZHEIMER-Patienten ergibt sich im Hinblick auf kardiovaskuläre Schadwirkungen ein signifikanter
Unterschied zu Ungunsten des Cox-2-Hemmers. Unvollständige Daten dieser Studie sind erst seit Anfang dieses Jahres und lediglich im Internet
einsehbar.3
In drei als "early release" publizierten plazebokontrollierten Interventionsstudien,4-6 darunter eine der zwei Valdecoxibstudien mit
Bypasspatienten, wird das kardiovaskuläre Risiko als Klasseneffekt der Coxibe jetzt nachvollziehbar belegt:
In der APPROVe*-Studie zur Prävention von Darmpolypen kommt es unter täglich 25 mg Rofecoxib (maximale empfohlene Dosis) trotz
des Ausschlusses von Hochrisikopatienten - z.B. mit schwerer Angina pectoris - zu einer Zunahme kardiovaskulärer Komplikationen wie Herzinfarkt oder
Schlaganfall auf das Zweifache (relatives Risiko [RR] 1,92; 95% Vertrauensintervall [CI] 1,19 bis 3,11). In Subgruppen mit symptomatischer kardiovaskulärer
Atherosklerose oder Diabetes in der Vorgeschichte steigt das relative Risiko sogar auf 9,59 (95% CI 1,36 bis 416) bzw. 6,1 (95% CI 1,36 bis 56,1). Während die
Sicherheitsanalysen Teil der Studienplanung waren, ergibt sich der auffällige zeitliche Verlauf mit Risikoanstieg erst nach 18 Monaten aus einer
nachträglich eingeführten Analyse, die daher vorsichtig zu interpretieren ist. Das Herzinsuffizienzrisiko, das unter Rofecoxib ebenfalls signifikant
erhöht ist (RR 4,61; 95% CI 1,50 bis 18,83), steigt bereits ab dem fünften Monat an.5 Die Studie war Anlass für die Marktrücknahme
von Rofecoxib (a-t 2004; 35: 116).
* |
APPROVEe = Adenomatous Polyp Prevention on Vioxx
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Für Celecoxib errechnet sich in der ebenfalls bei Patienten mit Darmpolypen durchgeführten APC**-Studie (in einer nachträglichen
Analyse aufgrund der Ergebnisse von APPROVe) ein ähnlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Unter der empfohlenen maximalen Tagesdosis von
400 mg nehmen Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulärer Tod insgesamt um das 2,5fache zu (95% Konfidenzintervall 1,0 bis 6,4), unter einer doppelt so
hohen Dosis beträgt das relative Risiko 3,4 (95% CI 1,4 bis 8,5; a-t 2005; 36: 16).6
** |
APC = Adenoma Prevention with Celecoxib
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Die Kombination aus Parecoxib i.v. drei Tage lang in der halben maximalen Dosierung (zweimal täglich 20 mg) plus anschließend sieben Tage
lang Valdecoxib per os in der maximal empfohlenen Dosis (zweimal täglich 20 mg) steigert bei Patienten nach Bypassoperation das relative Risiko
kardiovaskulärer Komplikationen auf 3,7 (95% CI 1 bis 13,5; p = 0,03).4
Trotz dieser für Celecoxib, Rofecoxib und Valdecoxib in kontrollierten Studien nachgewiesenen schwerwiegenden kardiovaskulären Störwirkungen
sieht ein 32-köpfiges Beratergremium der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA keine Notwendigkeit, die Zulassung für die drei Coxibe zu
widerrufen.7 Es wird lediglich zu einer Verschärfung der Warnhinweise geraten. Der für Rofecoxib und Valdecoxib nur mit knapper Mehrheit
zustande gekommene Beschluss beruht allerdings auf erheblicher "Schlagseite" in der Expertenrunde. 10 der Sachverständigen hatten in den
vergangenen Jahren finanzielle Verflechtungen zu Coxib-Produzenten. 9 von ihnen stimmten für den Verbleib von Valdecoxib auf dem Markt beziehungsweise
die Rückkehr von Rofecoxib, jedoch nur 8 (36%) der 22 Berater ohne Firmen-Verbindungen. Eine Abstimmung ohne Beteiligung der Berater mit
Interessenkonflikten hätte ein Votum zum Entzug der Zulassung für die beiden Mittel zur Folge gehabt.8
Die europäische Zulassungsbehörde EMEA schränkt in einem vorläufigen Beschluss die Anwendung von Cox-2-Hemmern ein. Patienten mit
koronarer Herzerkrankung oder nach Schlaganfall dürfen die Mittel nicht mehr anwenden. Etoricoxib (ARCOXIA) darf außerdem nicht von Patienten mit unzureichend eingestellter Hypertonie eingenommen werden.9
Desinformation und Datenmanipulation ziehen sich seit den CLASS***- und VIGOR***-Studien (a-t 2001; 32: 87-8)
wie ein roter Faden durch die Geschichte der Cox-2-Hemmer. Der Einfluss der von Firmen gesponserten Berater auf behördliche Entscheidungsgrundlagen wird
am Beispiel der FDA deutlich. Die zögerliche Haltung der Zulassungsbehörden gegenüber den Cox-2-Hemmern folgt einseitig den
Vermarktungsinteressen der Hersteller und widerspricht den Grundsätzen des vorbeugenden Verbraucherschutzes. Da für die angebotenen Coxibe weder
Wirksamkeits- noch Verträglichkeitsvorteile belegt sind, bleibt angesichts der besonderen kardiovaskulären Risiken nur eine Konsequenz: die
Marktrücknahme.
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CLASS = Celecoxib long-term Arthritis Safety Study
VIGOR = Vioxx gastrointestinal Outcomes Research |
| | | (R = randomisierte Studie)
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| | 1 | Pfizer GmbH: Schreiben vom 7. Okt.
2004 |
| | 2 | PSATY, B.M., FURBERG, C.D.: N. Engl. J.
Med.:
http://content.nejm.org/cgi/reprint/NEJMe058042.pdf |
R | 3 | Pfizer Inc.:
http://www.clinicalstudyresults.org/documents/company-
study_76_0.pdf |
R | 4 | NUSSMEIER, N.A. et al.:
N. Engl. J. Med. 2005; 352: http://content.
nejm.org/cgi/reprint/NEJMoa050330.pdf |
R | 5 | BRESALIER, R.S. et al.:
N. Engl. J. Med. 2005; 352:
http://content.nejm.org/cgi/reprint/NEJMoa050493.pdf |
R | 6 | SOLOMON, S.D. et al.:
N. Engl. J. Med. 2005; 352:
http://content.nejm.org/cgi/reprint/NEJMoa050405.pdf |
| | 7 | HARRIS, G., BERENSON, A.: New York
Times vom 18. Feb. 2005
http://www.nytimes.com/2005/02/18/business/18cnd-
drug.html?adxnnl=
1&adxnnlx=1108995329-mmvwYrl3n68NWVpEGD0v7g\ |
| | 8 | HARRIS, G.: New York Times vom 25.
Feb. 2005
http://www.nytimes.com/2005/02/25/politics/25fda.html |
| | 9 | EMEA: Public statement vom 17. Febr.
2005
http://www.emea.eu.int/pdfs/human/press/pr/6275705en.pdf |