Innerhalb von 6 Jahren nahmen die Verordnungen von Antiallergika um 30% auf 8,5 Millionen zu. Diese Entwicklung geht wesentlich auf die relativ
neuen nicht oder nur gering sedierenden Antihistaminika zurück. Terfenadin (TELDANE u.a.) und Astemizol (HISMANAL) entwickelten sich in Deutschland
rasch zu Marktführern (TELDANE mit 1,7 Millionen Packungen im Wert von 48 Millionen DM [Apothekenabgabepreis] und HISMANAL mit 1,3 Millionen
Packungen für 37 Millionen DM). Nun erweitern Cetirizin (ZYRTEC; Werbung: "Ihre Patienten bleiben munter") und Loratadin (LISINO;
"erhält munter und mobil") die Auswahl. Wellcome plant zudem die Einführung des in Großbritannien bereits erhältlichen Acrivastin
einem Abkömmling des seit 25 Jahren erhältlichen Triprolidin (PRO-ACTIDIL).
EIGENSCHAFTEN: Cetirizin und Loratadin werden rasch absorbiert und ergeben Spitzenspiegel innerhalb einer Stunde. Bei einer Halbwertszeit von 7-8
Stunden bzw. 12-18 Stunden genügt für beide Antiallergika die einmal tägliche Einnahme.
Cetirizin ist der Hauptmetabolit von Hydroxyzin (ATARAX u.a.), einem seit Jahrzehnten verwendeten Tranquilizer vom Antihistaminika-Typ. Die im Vergleich
zur Muttersubstanz geringeren ZNS-Effekte beruhen wahrscheinlich ebenso wie bei Loratadin auf der geringeren Lipophilie bzw. einer größeren
Selektivität für den H1-Rezeptor. Cetirizin wird weitgehend unverändert mit dem Urin ausgeschieden. Bei Niereninsuffizienz sowie im Alter ist eine
Dosisreduktion erforderlich.
Die therapeutische Bedeutung besonderer Eigenschaften von Cetirizin wie die antientzündliche Wirkung durch Hemmung der Eosinophilen-Migration
("Wirkt nicht nur antiallergisch, sondern auch antientzündlich") ist nicht erwiesen und dürfte Ausdruck medizinisch fragwürdiger Werbung
sein. Bei gesunden Probanden hemmt Cetirizin die histamininduzierte Reaktion rascher, ausgeprägter und länger anhaltend als
Loratadin.1
Loratadin steht chemisch den sedierend wirkenden Antihistaminika Azatadin (OPTIMINE) und Cyproheptadin (PERIACTINOL u.a.) nahe. Es wird in der
Leber abgebaut. Bei schwerer Lebererkrankung ist die Dosis zu halbieren.
KLINISCHE STUDIEN: Die neuen Antihistaminika wurden hauptsächlich gegen Plazebo und konventionelle Antihistaminika geprüft. Sie
übertreffen Plazebo bei allergischer Rhinitis und wahrscheinlich auch bei Urtikaria.1
Täglich 10 mg Cetirizin linderten die Beschwerden der saisonalen allergischen Rhinitis bei knapp 500 Patienten ebensogut wie zweimal täglich 60
mg Terfenadin. In einer kleinen Studie an Patienten mit Asthma und Rhinitis/Konjunktivitis durch Birkenpollen verringert Cetirizin hingegen die Symptome und den
Bedarf an Betaagonisten deutlicher als Terfenadin.1 Vergleichsstudien mit der Muttersubstanz Hydroxyzin fehlen.
Die Wirkung von täglich 10 mg Loratadin entspricht bei 330 Patienten mit saisonaler allergischer Rhinitis der von zweimal täglich 1 mg Clemastin
(TAVEGIL). Gleiches gilt für Patienten mit allergischer Rhinitis im Vergleich mit Loratadin, Astemizol und Mequitazin (METAPLEXAN).
Der Nutzen gering sedierender Antihistaminika bei Pruritus bleibt umstritten (vgl. a-t 4 [1984], 34). Weder Astemizol noch Terfenadin erwiesen sich
in einer Versuchsreihe bei nächtlichem Juckreiz von Nutzen, jedoch scheinen Terfenadin und Acrivastin in einer anderen Versuchsreihe über jeweils zehn
Tage Plazebo überlegen zu sein.1 Wegen fehlender sedativer Effekte sollen sich die neueren H1-Rezeptor-Antagonisten weniger zur
Linderung von Symptomen wie Juckreiz bei nicht Histamin-abhängigen Dermatosen wie Ekzem und Psoriasis eignen.
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Hier ist der Kenntnisstand unzureichend. Die neueren Wirkstoffe durchdringen die Blut-Hirnschranke geringer
und machen seltener müde als konventionelle Antihistaminika. In einer Übersicht wird Sedierung zu je 8% unter Loratadin und Terfenadin beschrieben, bei
Plazebo zu 6%.
Auch Cetirizin (ZYRTEC) verursacht häufiger Müdigkeit als Plazebo.1 Vielleicht wird deshalb zur abendlichen Einnahme von Cetirizin
geraten. Nach der belgischen Produktinformation soll die Tagesdosis auf 2 x 5 mg Cetirizin aufgeteilt werden, wenn Müdigkeit auftritt.2 Die
Produktinformationen von Loratadin und Cetirizin weisen Müdigkeit nicht als unerwünschte Eigenschaft aus. In der Roten Liste 1991 fehlen Angaben zu
den Störwirkungen von Cetirizin. Bekannt sind bislang neben Müdigkeit Kopfschmerzen, Schwindel, Mundtrockenheit und Magen-Darm-
Störungen.
Auch für Loratadin (LISINO) werden Kopfschmerzen und Mundtrockenheit beschrieben.3 Im NETZWERK DER
GEGENSEITIGEN INFORMATION erhielten wir für Loratadin neben Mitteilungen über Müdigkeit und Fahruntüchtigkeit Berichte über
Depression (Fall-Nr. 3612), orthostatischen Schwindel (Nr. 3794), juckende Dermatose und Atemnot (Nr. 3943) sowie beidseitige eigroße Mammahypertrophie
(Nr. 4121).
Das 1985 eingeführte Astemizol (HISMANAL) wirkt in sehr hohen Dosen arrhythmogen (vgl. a-t 6 [1987], 54). Nahrungsaufnahme reduziert die Absorption
bis zu 60%. Daher ist das Mittel mindestens zwei Stunden nach oder eine Stunde vor einer Mahlzeit einzunehmen.4 Müdigkeit, Kopfschmerzen und
Nervosität kommen unter Astemizol ebenso vor wie bei Terfenadin (vgl. a-t 12 [1988], 107). In Verbindung mit Astemizol und Terfenadin berichtete reversible
Parästhesien lassen sich möglicherweise kaum von den allergischen Beschwerden abgrenzen (vgl. a-t 1 [1991],
6).
Etwas besser lassen sich die unerwünschten Effekte des seit 1982 erhältlichen Terfenadin (TELDANE, FOMOS, HISFEDIN)
überblicken: Depression, Alpträume, Schlafstörungen, Geschmacksstörungen und Hautreaktionen (vgl. a-t 10 [1989], 95). Reversible
Parästhesien können vorkommen. Der FDA gingen 61 Meldungen über kardiale Zwischenfälle in Verbindung mit Terfenadin zu, darunter
Torsade de pointes ("chaotische Kammertachykardie"), QT-Verlängerung und/oder ventrikuläre Arrhythmien, also ähnliche Effekte wie bei
Astemizol. Zum Teil lagen Überdosierungen vor, oder es wurden gleichzeitig Makrolidantibiotika oder Ketoconazol (NIZORAL) gegeben.5
Aus dem NETZWERK kennen wir Beobachtungen von Haarausfall (Fall-Nr. 2580), Appetit- und Gewichtszunahme (Nr. 2694), Ausbleiben der Regel
(Nr. 1274) und rezidivierendem Kammerflattern mit Synkopen (Nr. 3682) in Verbindung mit Terfenadin.
AUSWAHL: Astemizol eignet sich wegen seiner extrem langen Halbwertszeit, die einschließlich aktiver Metaboliten 10 Tage beträgt, nicht zur
Behandlung akuter Zustände wie Angioödem (vgl. a-t 9 [1984], 70; 3 [1989], 33). Die Dosisfindung kann Schwierigkeiten bereiten. Andererseits
dürfte eine unregelmäßige Einnahme den Therapieerfolg kaum stören, und der die Nacht überdauernde Effekt mag bei saisonaler Rhinitis
von Vorteil sein.
Cetirizin und Loratadin sind keine therapeutischen Innovationen, denn sie wirken zur Behandlung der allergischen Rhinitis und Urtikaria ebensogut wie Terfenadin
oder konventionelle Antihistaminika. Die größere Erfahrung spricht derzeit für den Marktführer Terfenadin.
FAZIT: Unter den geringer sedierenden Antihistaminika gilt Terfenadin (TELDANE, -FORTE u.a.) als Standardtherapeutikum. Die Neueinführungen
Loratadin (LISINO) und Cetirizin (ZYRTEC) wirken etwa gleich gut, doch läßt sich deren Spektrum unerwünschter Effekte aufgrund der
vergleichsweise geringen Erfahrungen weniger gut beurteilen. Hinweise auf die gelegentlich beobachtete Müdigkeit fehlen in den Produktinformationen.6
Gegen Pruritus bei Dermatosen wie Ekzem oder Psoriasis helfen konventionelle sedierende Antihistaminika besser.
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