OMALIZUMAB (XOLAIR) BEI ALLERGISCHEM ASTHMA
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Seit November 2005 ist Omalizumab (XOLAIR) als Zusatztherapeutikum
für Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren mit schwerem persistierenden allergischen Asthma auf dem Markt. Der subkutan anzuwendende monoklonale
Anti-IgE-Antikörper soll die Asthmakontrolle bei Personen mit nachgewiesener Allergie gegen ein ganzjährig auftretendes Aeroallergen verbessern, die trotz
täglicher Inhalation hochdosierter Kortikosteroide und eines langwirkenden Betamimetikums unter häufigen Beschwerden sowie mehrfach dokumentierten
schweren Asthmaexazerbationen leiden.1
Novartis hatte ursprünglich bereits 2001 mit einer Zulassung gerechnet, die auch die Indikation allergische Rhinitis und Kinder ab 6 Jahre einschließen
sollte.2,3 Tödlich verlaufene Thrombozytopenien bei Affen in präklinischen Studien mit einer nachfolgend entwickelten Variante hatten
zunächst zu einer vorübergehenden Unterbrechung klinischer Studien mit Omalizumab geführt.4 Wegen negativer Nutzen/Risiko-Bilanz
aufgrund eines teilweise nur begrenzten Effektes einerseits und eines alters- und dosisabhängigen Abfalls der Thrombozyten bei jungen Affen auch unter
Omalizumab andererseits erfolgte die Zulassung nur für einen deutlich eingeschränkten Anwendungsbereich.3 Behauptungen wie "Beginn
einer neuen Ära in der Allergologie" und "Nebenwirkungen vergleichbar mit Plazebo" begleiten die Einführungspressekonferenz.5
Novartis schätzt, dass europaweit 600.000 (2%) der 30 Mio. Asthmakranken an schwerem persistierenden, unzureichend kontrollierten allergischen Asthma
leiden.6
EIGENSCHAFTEN: Wenn ein Allergen mit IgE, das an Mastzellen und basophile Granulozyten gebunden ist, reagiert, werden
Entzündungsmediatoren wie Histamin und Leukotriene ausgeschüttet, die zu Entzündung und Bronchokonstriktion führen. Der monoklonale
Maus/ Mensch-Antikörper Omalizumab bindet freies IgE, das dann für die Auslösung der allergischen Kaskade nicht mehr zur Verfügung
steht.1 Unter der Anwendung sinken die Blutspiegel von freiem IgE um mehr als 96%, während das Gesamt-IgE auf das Fünffache steigt und bis
zu einem Jahr nach Absetzen erhöht bleibt.7
Omalizumab wird durch medizinisches Fachpersonal subkutan verabreicht. Dosierung und Häufigkeit der Anwendung (alle zwei oder vier Wochen) richten sich
nach dem Gesamt-IgE-Spiegel vor Therapiebeginn (30 bis 700 I.E./ml) und dem Körpergewicht. Maximale Serumkonzentrationen werden nach einmaliger
Anwendung innerhalb einer Woche erreicht. Die mittlere Halbwertszeit bei Asthmapatienten beträgt vier Wochen. Daten bei Personen mit Leber- oder
Nierenerkrankungen gibt es nicht.1
WIRKSAMKEIT: Die wichtigste zulassungsrelevante Studie (INNOVATE*)8 schließt 419 Asthmatiker zwischen 12 und 75 Jahren ein, die
trotz täglicher Inhalation von mehr als 1.000 µg Beclometasondipropionat (BDP; SANASTHMAX u.a.; mittlere Dosis etwa 2.300 µg/Tag) oder -
äquivalent sowie eines langwirkenden Betamimetikums nicht beschwerdefrei sind und zudem innerhalb der letzten zwölf Monate entweder mindestens
zweimal wegen einer Exazerbation akut systemische Kortikosteroide erhalten haben oder einmal in einer Notfallambulanz oder stationär behandelt werden
mussten. Zwei Drittel der Patienten nehmen regelmäßig weitere Asthmamittel ein, neben Leukotrien-Antagonisten wie Montelukast (SINGULAIR) und/oder
Theophyllin (AFONILUM u.a.) sind bis zu 20 mg Prednisolon (DECORTIN H u.a.) pro Tag erlaubt. Ausgeschlossen sind Personen mit einer
Einsekundenkapazität (FEV1) unter 40%, Exazerbation innerhalb von vier Wochen vor Randomisierung sowie (ehemalige) Raucher.8
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INNOVATE = keine Auflösung des Studiennamens angegeben
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Nach einer mindestens achtwöchigen Run-in-Phase, in der die bisherige Asthmatherapie gegebenenfalls optimiert wird, erhalten die Patienten Omalizumab oder
Plazebo alle zwei oder vier Wochen subkutan zusätzlich zu ihrer Basistherapie. Diese darf im weiteren Studienverlauf nicht verändert werden. Die
bedarfsweise Inhalation kurzwirkender Betamimetika ist erlaubt. Das Ziel der Studie wird verfehlt: Während der siebenmonatigen Behandlung beträgt die
Häufigkeit klinisch bedeutsamer Exazerbationen, die eine Therapie mit systemischen Kortikosteroiden erfordern (primärer Endpunkt), unter Omalizumab
0,74 gegenüber 0,92 unter Scheinmedikament (p = 0,153).8 Der Versuch der Autoren, mittels einer nachträglichen Adjustierung für eine
angeblich misslungene Randomisierung doch noch ein signifikantes Ergebnis zu errechnen, ist methodisch inakzeptabel und entspricht nicht den Empfehlungen des
europäischen Ausschusses für Arzneispezialitäten (CPMP).8 Einen möglichen Nutzen des monoklonalen Antikörpers leitet die
europäische Zulassungsbehörde offenbar aus "weiteren Auswertungen"1 ab: Omalizumab verringert die Zahl schwerer
Exazerbationen, bei denen die Lungenfunktion der Patienten auf unter 60% des persönlichen Bestwertes sinkt (0,24 vs. 0,48; p = 0,002).8 Dabei
handelt es sich offensichtlich nicht um einen prädefinierten Endpunkt, sodass diese Analyse ohne Aussagekraft bleibt. Zumindest nominell signifikant reduziert
wird auch die Rate asthmabedingter ambulanter oder stationärer Behandlungen (0,24 vs. 0,43; p = 0,038; prädefinierte Auswertung, aber kein
Endpunkt3).8
Als weiterer Nutzenbeleg dient eine 12-monatige offene randomisierte Studie,9 in der 206 der insgesamt 312 Teilnehmer mit mäßigem bis
schwerem unzureichend kontrollierten Asthma Omalizumab zusätzlich zu einer Behandlung gemäß den Leitlinien der National Institutes of Health
(USA)10 erhalten. Alle inhalieren täglich Kortikosteroide in mittlerer bis hoher Dosierung (mediane Dosis entsprechend 2.000 µg BDP), 78%
wenden zusätzlich langwirkende Betamimetika an, 23% (Omalizumabgruppe) bzw. 18% (Kontrollgruppe) regelmäßig systemische Kortikosteroide. Als
primärer Endpunkt werden Ereignisse ausgewertet, die auf eine Verschlechterung des Asthmas hinweisen sollen, neben Asthma-bedingten ambulanten oder
stationären Behandlungen und einer mindestens zweitägigen Anwendung systemischer Kortikosteroide oder Antibiotika auch Fernbleiben von Arbeit oder
Schule über mindestens zwei Tage oder eine nach Einschätzung des Patienten deutlich reduzierte Leistung.9 Die Wahl solcher zum Teil sehr
interpretationsanfälliger Ereignisse3 birgt ebenso wie das Fehlen konkreter Angaben zur Randomisierung gerade bei einem offenen Design
eine erhebliche Gefahr von Verzerrungen (Bias). In der XOLAIR-Fachinformation wird - vermutlich wegen ähnlicher Bedenken - nur der sekundäre
Endpunkt "klinisch relevante Asthma-Exazerbationen" referiert: Unter Omalizumab beträgt die mittlere Zahl solcher Exazerbationen, die die
Behandlung mit systemischen Steroiden erfordern, 1,12 pro Patient und Jahr gegenüber 2,86 in der Kontrollgruppe (Risikoreduktion 61%; 95%
Vertrauensbereich 47% bis 71%).1,9
In einer weiteren plazebokontrollierten Studie wird primär geprüft, um wie viel Prozent die Dosis des inhalierten Kortikosteroids Fluticason (ATEMUR,
FLUTIDE) reduziert werden kann.11 Da die Verringerung der Dosis entgegen den Empfehlungen mehrerer Leitlinien nicht in zwei- bis dreimonatigen
Schritten erfolgt, sondern alle zwei Wochen, sind die gewonnen Daten ohne Aussagekraft. In dieser wie in zwei weiteren plazebokontrollierten Studien12,13
wurden zudem Patienten außerhalb des in Europa zugelassenen Anwendungsbereichs eingeschlossen. Mittlere Dosis des inhalierten Kortikosteroids und Anzahl
der Patienten, die zusätzlich langwirkende Betamimetika oder andere systemische Antiasthmatika anwenden, lassen auf eine weniger schwere
Asthmaerkrankung schließen. Die Zahl der Asthmaexazerbationen wird in den beiden letztgenannten Studien unter Omalizumab statistisch signifikant gesenkt.
Ein Einfluss auf die Dosis per os eingenommener Steroide (prädefinierte Subgruppe in einer Studie11) lässt sich nicht belegen.3 Für
unter 18-Jährige und über 65-Jährige liegen insgesamt nur wenige Daten vor.3
VERTRÄGLICHKEIT: Unter Omalizumab werden mehr maligne Neubildungen beobachtet als in den Kontrollgruppen (0,5% vs. 0,2%), vor allem solide
Tumoren. Werden nicht-melanotische Hauttumoren von der Analyse ausgeschlossen, weisen Raten von 5,1 gegenüber 1,3 Krebserkrankungen pro 1.000
Patientenjahre auf eine mögliche Vervierfachung maligner Tumoren hin (Rate Ratio 3,8; 95% CI 0,9-34,3). Im US-amerikanischen Sicherheitsreview wird eine
Erhöhung der Krebsrate unter Omalizumab als "naheliegend, aber nicht definitiv gesichert" bezeichnet.14 Eine Mitarbeiterin des National
Cancer Institute erklärt die Daten für unzureichend, um belegen oder ausschließen zu können, dass der monoklonale Antikörper einen
Krebs-protektiven Effekt von IgE hemmt, hält dies aber für "biologisch plausibel".15
Wie alle humanisierten Antikörper kann Omalizumab schwere Überempfindlichkeitsreaktionen auslösen. In klinischen Studien werden
lebensbedrohliche anaphylaktische Reaktionen beobachtet.3,14 Auch Hautausschläge aller Schweregrade sind unter Omalizumab häufiger als in
den Kontrollgruppen (6,5% vs. 4,9%).14 Nach Markteinführung in Australien und den USA werden Angio- und Larynxödeme
berichtet.3
Unter der Anwendung ist häufig mit Kopfschmerzen und Reaktionen an der Injektionsstelle zu rechnen. Thrombozytopenien sind beschrieben, sollen aber nicht
mit klinischen Symptomen einhergegangen sein.1 Häufiger als in den Kontrollgruppen werden Nasenbluten, Menorrhagien und Hämatome (2,8%
vs. 1,7%) sowie gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall beobachtet (21,4% vs. 18,8%).14
KOSTEN: Die zusätzliche Anwendung von Omalizumab (XOLAIR; 75 mg bis 750 mg in vier Wochen) verteuert die Asthmatherapie um bis zu 2.906
€ pro Monat (Österreich 3.777 €), da lediglich die 150-mg-Zubereitung im Handel ist und bei einem Teil der Patienten daher die Hälfte einer
Injektionsflasche verworfen werden muss.
Der monoklonale Antikörper Omalizumab (XOLAIR) soll die Asthmakontrolle bei Patienten mit schwerem persistierenden allergischen Asthma verbessern, die
trotz täglicher Inhalation hochdosierter Kortikosteroide und langwirkender Betamimetika unter Asthmabeschwerden und mehrfach dokumentierten schweren
Exazerbationen leiden.
Der Nutzen ist unzureichend dokumentiert: Die entscheidenden Studien eignen sich
entweder methodisch nicht als Wirksamkeitsbeleg, oder sie lassen keinen Nutzen erkennen.
Unter Omalizumab werden vermehrt Krebserkrankungen beobachtet. Im US-
amerikanischen Sicherheitsreview wird eine Verdoppelung bis Vervierfachung des Risikos maligner Tumoren diskutiert.
Wie unter anderen humanisierten Antikörpern sind bedrohliche
Überempfindlichkeitsreaktionen beschrieben.
Omalizumab verteuert die Asthmatherapie um bis zu 2.900 € pro vier
Wochen.
Wir raten von der Anwendung des teuren Antikörpers ab.
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| | | (R = randomisierte Studie)
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| | 1 | Novartis: Fachinformation XOLAIR, Stand
Sept. 2005 |
| | 2 | Pharm. Ztg. 2001; 146:
2626 |
| | 3 | EMEA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR)
XOLAIR, 28. Nov. 2005; zu finden unter: http://www.emea.eu.int/htms/human/epar/a-
zepar.htm |
| | 4 | Scrip 2001; Nr. 2628: 22 |
| | 5 | WAHN, U., PFEIFER, M., zit. nach
Ärtze Ztg. vom 31. Okt. 2005 |
| | 6 | Scrip 2005; Nr. 3077: 22 |
| | 7 | Genentech: US-amerikanische
Produktinformation XOLAIR, Stand 2003 |
R | 8 | HUMBERT, M. et
al.: Allergy 2005; 60: 309-16 |
R | 9 | AYRES, J.G. et al.:
Allergy 2004; 59: 701-8 |
| | 10 | National Institutes of Health (NIH),
National Heart, Lung and Blood Institute, Expert Panel Report 2: Guidelines for the diagnosis and management of asthma. 1997; NIH Publication No. 97-
4051 |
R | 11 | HOLGATE, S.T. et al.:
Clin. Exp. Allergy 2004; 34: 632-8 |
R |
12 | BUSSE, W. et al.: J. Allergy Clin. Immunol. 2001; 108: 184-
90 |
R |
13 | SOLÈR, M. et al.: Eur. Resp. J. 2001; 18: 254-
61 |
| | 14 | FDA/CDER: Safety Review Omalizumab,
Juni 2003: http://www.fda.gov/cder/biologics/products/omalgen062003.htm |
| | 15 | Scrip 2003; Nr. 2851: 21 |