Nierenschädigung durch Vitamin-D-Supplemente
Bei einer 71-jährigen Frau mit Osteoporose wird Hyperkalziämie und akutes Nierenversagen festgestellt. Durch vergleichbare Diagnosen in seinem Einzugsgebiet sensibilisiert, bestimmt der behandelnde Arzt den 25-Hydroxy-Vitamin-D-Spiegel. Dieser weist mit über 400 nmol/l auf eine Vitamin-D-Intoxikation1 hin. Andere Ursachen der Nierenschädigung, die trotz Therapie nur teilweise reversibel ist, finden sich nicht. Auf Nachfrage berichtet die Patientin, neben einem ärztlich verordneten Vitamin-D-Präparat (DEKRISTOL, 20.000 I.E.* 1 x wöchentlich) „fast täglich eine kleine Pipettenspitze“ Vitamintropfen (GLORYFEEL VITAMIN D3 + K2 NATURE Tropfen) einzunehmen (NETZWERK-Bericht 17.867). Das im Internet als Nahrungsergänzungsmittel angebotene hochdosierte Kombinationspräparat enthält pro Tropfen, der laut Anbieter empfohlenen täglichen Verzehrmenge,2 1.000 I.E. Vitamin D und 20 µg Vitamin K2 (siehe auch a-t 2019; 50: 26-8). Als angemessene Tageszufuhr, fehlende endogene Synthese vorausgesetzt, stuft die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) 800 I.E. ein.3 Nach Ansicht des berichtenden Kollegen lädt überdies das „mit großem Gummisauger und großlumiger Pipette bestückte Produkt geradezu zur Überdosierung ein“, sodass die Frau nach seiner Schätzung durch die „kleine Pipettenspitze“ zusätzlich mindestens 15.000 I.E. Vitamin D täglich einnimmt. Im NETZWERK DER GEGENSEITIGEN INFORMATION dokumentieren wir einen weiteren Bericht über Nierenschädigung durch eine über das Internet vertriebene hochdosierte Vitamin-D-Zubereitung (17.599). Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft warnte 2017 vor vermeintlich harmlosen Vitamin-D-Nahrungsergänzungsmitteln, nachdem zwei Patienten durch Einnahme hoher Dosierungen (bis zu 50.000 I.E. täglich) akute Nierenschäden bei ausgeprägter Hyperkalziämie erlitten. Einer der beiden entwickelte eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz.4 Eine EU-einheitliche Höchstmengenfestsetzung für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungssupplementen – obwohl seit 2002 vorgesehen5 – fehlt nach wie vor. Seit 2009 ruhen die Arbeiten zur Fertigstellung der Richtlinien vollständig, sodass einige Mitgliedsstaaten zwischenzeitlich eigene Bestimmungen erlassen haben.6 Hierzulande steht eine nationale Regelung dagegen weiterhin aus (vgl. e a-t 1/2018b). Wir halten Nahrungsergänzungsmittel für Gesunde ohnehin generell für unnötig (a-t 2004; 35: 51). Insbesondere hochdosierte Tropfenzubereitungen begünstigen Dosierfehler (a-t 2017; 48: 55), zumal Nahrungsergänzungsmittel meist als harmlos erachtet werden.
| * | 1 I.E. = 0,025 µg, 1 µg = 40 I.E. |
© 2020 arznei-telegramm, publiziert am 17. Juli 2020