ALLES IM GRIFFF? (III) SCHWEINEGRIPPE-IMPFSTOFF:
VERTRÄGLICHKEITSMYTHOS UND EMPFEHLUNGSCHAOS
Die Diskussion über die Sicherheit der Massenimpfung mit
dem Schweinegrippeimpfstoff PANDEMRIX (GlaxoSmithKline [GSK]), der die
Wirkverstärkermischung AS03 enthält, nimmt zu: Seit einigen Tagen wollen
Gesundheitsbehörden Impfstoffhersteller dazu motivieren,
Schweinegrippeimpfstoffe ohne Wirkverstärker zu produzieren - zumindest
für den Bedarf schwangerer Frauen. Der Berufsverband der Kinder- und
Jugendärzte fordert einen adjuvansfreien Impfstoff auch für Kinder von
sechs Monaten bis sechs Jahren (1). Und die Bundeswehr will ihre 250.000
Soldaten mit einem Wirkverstärker-freien
Schweinegrippe-Ganzvirus-Impfstoff versorgen (CELVAPAN von Baxter) (1).
Ein Virologe bezeichnet diesen Schritt sogar als "einzig richtige
Entscheidung" (2). Dies erachten wir als Trugschluss. Das Prinzip der
Ganzvirus-Impfstoffe wurde wegen einer hohen Rate an unerwünschten
Wirkungen schon vor Jahrzehnten durch die besser verträglichen
Spaltimpfstoffe ersetzt. Auch für Schwangere ist dieser Impfstoff keine
Alternative: Die STIKO verweist darauf, dass es zu CELVAPAN "keine
Erfahrung bei Schwangeren" gibt (3).
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Bei Abwägung von
Nutzen und Schaden sind beim gegenwärtigen Stand der Impfstoffentwicklung
gegen Schweinegrippe ausschließlich konventionell auf Hühnereiern
angezüchtete Spaltimpfstoffe mit 15 µg Antigen sinnvoll, also weder
Impfstoffe, die unzureichend erprobte Wirkverstärker enthalten noch
Wirkverstärker-freie Ganzvirus-Impfstoffe. Die in ihrem Risikoprofil gut
überschaubaren konventionellen Impfstoffe werden in den USA ausschließlich
verwendet, wurden hierzulande jedoch nicht bestellt. Bei uns haben sich
die Behörden bereits 2007 für den Fall einer Influenzapandemie vertraglich
zum Kauf des adjuvantierten GSK-Impfstoffes verpflichtet (a-t 2009; 40:
85-7). Dass eine zukünftige Pandemie sich wesentlich von der damals
befürchteten Vogelgrippepandemie, für die der adjuvantierte Impfstoff
adäquat sein mag, unterscheiden und damit auch andere Erfordernisse an
einen Impfstoff stellen könnte, wurde nicht einkalkuliert. Die
vertragliche Verpflichtung von 2007, die in vieler Hinsicht einseitig den
Hersteller begünstigt, führt heute dazu, dass wir mehr Geld für einen
weniger erprobten und schlechter verträglichen Impfstoff ausgeben. Diese
absurde Situation spiegelt sich jetzt auch in den aktuellen öffentlichen
Impfempfehlungen wider (3), die seit Montag vorliegen.
In einem ersten Schritt sollen danach Beschäftigte im
Gesundheitsdienst, chronisch kranke Kinder (ab 6 Monate) und chronisch
kranke Erwachsene sowie schwangere Frauen und Wöchnerinnen immunisiert
werden. Für viele, die vorrangig geimpft werden sollen, fehlen aber, wie
die STIKO einräumt, Erfahrungen mit PANDEMRIX, so insbesondere für Kinder
bis 3 Jahren, Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahren und
schwangere Frauen. Da andererseits bei Schwangeren breite Erfahrungen mit
konventionellem Grippeimpfstoff vorliegen und die Impfung in der
Schwangerschaft eine "komplexe Problematik" beinhaltet, empfiehlt die
STIKO konsequenterweise, diese Risikogruppe "bis zum Vorliegen weiterer
Daten" mit einem nichtadjuvantierten Spaltimpfstoff zu impfen (3). Wie
diese Empfehlung umgesetzt werden kann, sagt die Kommission aber nicht.
Und damit nicht genug: In einem Anhang zu den STIKO-Empfehlungen melden
sich Robert Koch-Institut (RKI) und Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zu Wort
und geben ihrerseits eine Impfempfehlung für Schwangere ab. Danach kann
"im Rahmen einer sorgfältigen individuellen Nutzen-Risiko-Analyse die
Anwendung von einer Erwachsenendosis PANDEMRIX auch bei Schwangeren
sinnvoll sein" (4). Auf welchen Impfstoffdaten eine solche
Nutzen-Risiko-Analyse basieren sollte, dazu schweigen wiederum das PEI und
das RKI. Letztendlich wird so die Verantwortung auf die behandelnden Ärzte
und Schwangeren abgewälzt.
Von den in Bedrängnis geratenen Behörden wird jetzt
allerorten die Verträglichkeit und Sicherheit von PANDEMRIX hervorgehoben.
Laut STIKO sprechen alle bisher verfügbaren Daten und Analogschlüsse
"gegen eine besondere Nebenwirkungsträchtigkeit der neuen Impfstoffe" (3).
Belegt wird diese forsche Behauptung nicht. Ein Blick in den
Beurteilungsbericht der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA zu PANDEMRIX
ergibt ein anderes Bild. In allen Zulassungsstudien, in denen
AS03-verstärkter Impfstoff mit einer nichtadjuvantierten Vakzine
verglichen wird und an denen insgesamt rund 7.000 Probanden teilnehmen,
wird der adjuvantierte Impfstoff deutlich schlechter vertragen. Dies
betrifft besonders Lokalreaktionen und hier vor allem Schmerzen, aber auch
Allgemeinsymptome wie Kopfschmerzen, Müdigkeit und Myalgien. Auch kommen
schwere Reaktionen unter dem adjuvantierten Impfstoff durchgängig häufiger
vor.
Unter folgendem Link dokumentieren wir beispielhaft die
Angaben zu unerwünschten Wirkungen der beiden Impfstoffvarianten (mit 3,8
µg Antigen plus AS03 vs. 15 µg Antigen ohne Wirkverstärker) aus einer der
Zulassungsstudien.
http://www.arznei-telegramm.de/blitz-pdf/b091016-Tabelle.pdf
Wegen der auffällig schlechten Verträglichkeit von
PANDEMRIX ist nach unserer Bewertung auch mit einer besonderen
Risikosituation in Bezug auf seltene bedrohliche Schadwirkungen zu
rechnen.
Der von der Bundeswehr bestellte Ganzvirus-Impfstoff
CELVAPAN ist noch weniger erprobt als PANDEMRIX. Die Zulassung basiert auf
zwei Studien mit insgesamt 845 Teilnehmern, darunter kein Vergleich mit
nichtadjuvantiertem Spaltvirusimpfstoff. Die relativ blanden vorliegenden
Verträglichkeitsdaten zu CELVAPAN (7) lassen sich daher nicht hinreichend
einordnen.
Da sich die deutschen Behörden bereits 2007 auf
einen adjuvantierten Pandemieimpfstoff festgelegt haben, steht hierzulande
zur Prophylaxe der Schweinegrippe jetzt kein bewährter nichtadjuvantierter
Spaltimpfstoff, sondern mit PANDEMRIX ein teurerer, aber weniger erprobter
und entgegen offiziellen Verlautbarungen schlechter verträglicher
Impfstoff zur Verfügung.
Die Fehlentscheidung der Behörden führt jetzt
zu der absurden Situation zweier sich widersprechender offizieller
Impfempfehlungen für die wichtige Risikogruppe schwangerer Frauen. Dabei
lässt sich die konsequente Empfehlung der STIKO, nichtadjuvantierten
Spaltimpfstoff zu verwenden, nicht umsetzen, die Empfehlung von PEI und
RKI, im Einzelfall PANDEMRIX zu verwenden, bleibt hingegen ohne Datenbasis
für die Sicherheit.
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1 |
PAPE, E.-W.: Westfalen-Blatt vom 12. Okt.
2009
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2 |
KEKULÉ, A., zit. nach Die Welt vom 13. Okt.
2009 |
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3 |
Mitteilung der STIKO: Impfung gegen die Neue Influenza A
(H1N1): Epidemiol. Bull. 2009: Nr. 41:
403-24 http://www.rki.de/cln_100/nn_1493928/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2009/41__09,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/41_09.pdf
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4 |
Vorläufige Empfehlungen des Paul-Ehrlich-Instituts und des
Robert Koch-Instituts zu PANDEMRIX: Epidemiol. Bull. 2009; Nr. 41:
425-6
http://www.rki.de/cln_100/nn_1493928/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2009/41__09,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/41_09.pdf
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5 |
EMEA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) PANDEMRIX, Stand
24. Sept.
2009 http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/pandemrix/Pandemrix-H-832-PU-17-AR.pdf
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6 |
LEROUX-ROELS, I. et al.: Lancet 2007; 370:
580-9
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7 |
EMEA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) CELVAPAN, Stand 1.
Okt.
2009 http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/celvapan/Celvapan-H-982-PU-02-AR.pdf
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© Redaktion arznei-telegramm, blitz-a-t 16. Oktober 2009