PERIPHERE ARTERIELLE VERSCHLUSSKRANKHEIT: ASS ODER CLOPIDOGREL? |
Was ist dran an der Behauptung der Firma Sanofi-Aventis, dass Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX) bei nachgewiesener peripherer arterieller
Verschlusskrankheit (pAVK) einziger zugelassener Thrombozytenaggregationshemmer sein soll?
Dr. med. W. GÜNDER (Facharzt für Innere Medizin)
D-66287 Quierschied
Interessenkonflikt: keiner
Es trifft zu, dass Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX) der einzige Thrombozytenaggregationshemmer ist, der für die Indikation periphere arterielle
Verschlusskrankheit pAVK zugelassen ist. Die Zulassung1 basiert auf der CAPRIE*-Studie,2 dem nach wie vor wichtigsten Vergleich von
Clopidogrel (täglich 75 mg) mit niedrig dosierter Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.; täglich 325 mg) bei chronischen
Gefäßerkrankungen. Knapp 20.000 Patienten mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder symptomatischer pAVK in der Vorgeschichte haben teilgenommen. Bei
Patienten, die wegen Herzinfarkt oder Schlaganfall in die Studie aufgenommen wurden, ergibt sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Mitteln. Einen
signifikanten Vorteil bietet Clopidogrel nur in der Subgruppe der Patienten mit symptomatischer pAVK. Dieser Vorteil bezieht sich auf den primären Endpunkt,
die Rate der Herzinfarkte, Schlaganfälle und kardiovaskulär bedingten Todesfälle (3,71% vs. 4,86% pro Jahr, Number needed to treat [NNT] = 87; a-t 2006; 37: 101-2, 107-9). Im Hinblick auf den Verlauf der pAVK selbst ist
kein Vorteil belegt. Die Amputationsrate in der Gesamtgruppe beträgt unter Clopidogrel 0,54%, unter ASS 0,49%.2
Gemäß Einschlusskriterien lassen sich aus der CAPRIE-Studie nur für die symptomatische pAVK Schlussfolgerungen ableiten. Der in der
Fachinformation1 und auch in der Werbung für Clopidogrel3 gebrauchte Begriff der nachgewiesenen pAVK ist irreführend, weil er sich
auch im Sinne einer durch Screening nachgewiesenen asymptomatischen pAVK interpretieren lässt. Für Patienten mit asymptomatischer pAVK ist ein
Nutzen von Clopidogrel oder anderen Thrombozytenaggregationshemmern aber nicht belegt.
ASS ist zur Thrombozytenaggregationshemmung bei pAVK nicht zugelassen.4 Dies gilt allerdings nur für Patienten, die nicht zusätzlich
z.B. einen Herzinfarkt oder Schlaganfall durchgemacht haben oder sich einem gefäßchirurgischen oder interventionellen Eingriff wie aortokoronarem
Bypass oder Koronarangioplastie unterzogen haben, da dies zugelassene Indikationen für Low-dose-ASS sind.5 Verordnung von Low-dose-ASS
für Patienten mit der eher seltenen isolierten symptomatischen pAVK - nur etwa 6% der Atherosklerosepatienten über 45 Jahre 6 - ist somit zwar
Off-label, stellt jedoch einen bestimmungsgemäßen Gebrauch** dar, da das Mittel bei dieser Indikation zum Therapiestandard gehört: In
internationalen Leitlinien wird es für die Indikation gleich- oder sogar vorrangig empfohlen.7-11
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Auch die Haftung des Herstellers für ein Arzneimittel ist nicht auf die Anwendung in zugelassenen Indikationen
beschränkt, sondern orientiert sich am "bestimmungsgemäßen Gebrauch". Hierzu zählen auch Off-Label-Verordnungen, sofern sie
z.B. in Leitlinien empfohlen werden und der Hersteller dem nicht ausdrücklich widerspricht (a-t 2004; 35:
14).
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Die Evidenz für einen klinischen Nutzen von Low-dose-ASS bei pAVK ist allerdings indirekt: Im kontrollierten Vergleich gegen Plazebo oder Nichtbehandlung ist
Monotherapie mit ASS bei diesen Patienten mit Ausnahme einer kürzlich publizierten Studie12*** nur in höheren, heute nicht mehr üblichen
und zur Thrombozytenaggregationshemmung nicht zugelassenen Dosierungen geprüft (975 mg bis 1.500 mg pro Tag).13 Die Studien sind zudem
überwiegend auf peripher-arterielle Parameter wie angiografisch verifizierten Verlauf der pAVK angelegt. Nach einer systematischen Übersicht senken
Thrombozytenaggregationshemmer wie ASS in hoher Dosis, ASS plus Dipyridamol (z.B. ASASANTIN, außer Handel) oder Ticlopidin (TIKLYD u.a.) u.a.
insgesamt das relative Risiko kardiovaskulärer Komplikationen (Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulär bedingter Tod) bei Patienten mit
symptomatischer pAVK relativ um 23%.13 Das relative Risiko der Verschlüsse z.B. von Bypässen am Bein nimmt nach einer älteren
Metaanalyse derselben Arbeitsgruppe um 37% ab.14 Werden alle atherosklerotischen Indikationen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, pAVK u.a. gemeinsam
betrachtet, ist niedrig dosierte ASS (täglich 75-150 mg) nach der Metaanalyse mindestens so wirksam wie ASS in höheren Dosierungen. Dies erachten die
Autoren als ausreichend, um für die Langzeitprävention bei atherosklerotischen Erkrankungen einschließlich pAVK generell täglich 75 mg bis
150 mg ASS zu empfehlen.13 Auch in Leitlinien zur pAVK gilt diese Evidenz als ausreichend.7-11
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Nach der im März 2007 publizierten CLIP****-Studie, an der 366 Patienten mit pAVK überwiegend im Stadium II
teilnehmen, sinkt die Rate vaskulärer Komplikationen (Herzinfarkte, Schlaganfälle und Lungenembolien, auch tödlich verlaufende) unter täglich
100 mg ASS im Vergleich zu Plazebo in durchschnittlich 21 Monaten von 11% auf 3,8%. Ob eine plazebokontrollierte Studie bei diesen Patienten ethisch
überhaupt noch gerechtfertigt war, erscheint uns zweifelhaft. Wegen gravierender Mängel bleibt die Studie ohne Aussagekraft. So ist insbesondere die
Rate der Patienten, die in der Nachbeobachtung verloren gehen, mit 31% für ein belastbares Ergebnis deutlich zu hoch.
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CLIP = Critical Leg Ischaemia Prevention
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Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX) ist zwar der einzige zugelassene
Thrombozytenaggregationshemmer bei symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit, die Verordnung von niedrig dosierter Azetylsalizylsäure
(ASS; ASPIRIN u.a.) in dieser Indikation stellt jedoch auch haftungsrechtlich einen bestimmungsgemäßen Gebrauch dar, da Low-dose-ASS für diese
Patienten in internationalen Leitlinien gleich- oder sogar vorrangig empfohlen wird.
Wir erachten die Nutzen-Kosten-Bilanz von Clopidogrel bei symptomatischer pAVK
als negativ und sehen daher bei diesen Patienten, ebenso wie bei Patienten mit Zustand nach Herzinfarkt oder Schlaganfall, eine sichere Indikation für
Clopidogrel nur, wenn Kontraindikationen gegen ASS wie Asthma oder Allergien vorliegen.
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