CLOPIDOGREL UND METOPROLOL BEI AKUTEM HERZINFARKT |
Mit 45.852 Teilnehmern wird jetzt als eine der größten klinischen Studien überhaupt die COMMIT*-Studie publiziert.1,2 In einem
faktoriellen Design (a-t 2003; 34: 100) untersucht sie den Nutzen des Thrombozytenaggregationshemmers Clopidogrel
(ISCOVER, PLAVIX) sowie des Betablockers Metoprolol (BELOC u.a.) bei Patienten mit Verdacht auf akuten Herzinfarkt, die innerhalb von 24 Stunden nach
Symptombeginn stationär aufgenommen werden. Die Studie wird in 1.250 Krankenhäusern ausschließlich in China durchgeführt. Aufgenommen
werden Patienten mit infarkttypischen Symptomen und ST-Hebungen, Linksschenkelblock oder ST-Senkungen. Geplante Angioplastien sind ein Ausschlussgrund.
Neben Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.; täglich 162 mg) erhalten die Patienten randomisiert und doppelblind zum einen Clopidogrel (täglich 75
mg) oder Plazebo, zum anderen Metoprolol (dreimal 5 mg i.v. im Abstand von 2 bis 3 Minuten, falls systolischer Blutdruck über 90 mmHg und Herzfrequenz
über 50/min; dann viermal täglich 50 mg per os für zwei Tage und anschließend täglich 200 mg eines retardierten Präparates) oder
Plazebo jeweils bis zur Entlassung, maximal aber 28 Tage lang. Die Patienten sind im Mittel 61 Jahre alt. Bei 87% liegt ein ST-Hebungsinfarkt vor. 28% sind Frauen.
Die Patienten werden durchschnittlich 10 Stunden nach Symptombeginn aufgenommen. 54% erhalten eine Fibrinolyse, überwiegend mit der hierzulande wenig
gebräuchlichen Urokinase (UROKINASE MEDAC u.a.).1,2
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COMMIT = Clopidogrel and Metoprolol in Myocardial Infarction Trial
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Unter zusätzlichem Clopidogrel sinkt die Mortalität im Studienzeitraum von durchschnittlich 14 Tagen signifikant von 8,1% auf 7,5% (Number
needed to treat [NNT] = 167; Odds Ratio (OR) 0,93; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,87-0,99). Der zweite primäre, kombinierte Endpunkt aus Todesfällen,
Infarkten oder Insulten sinkt von 10,1% auf 9,2% (NNT = 111; OR 0,91; 95% CI 0,86-0,97).1 Der Effekt wird hauptsächlich innerhalb der ersten Woche
erreicht; nach der zweiten Woche ist kein Zuwachs mehr erkennbar. Prädefinierte Analysen bringen für verschiedene Subgruppen wie Alter, Geschlecht,
Fibrinolyse oder Metoprololanwendung weitgehend homogene Ergebnisse. Patienten mit Symptomdauer von mehr als 13 Stunden scheinen jedoch nicht zu
profitieren. Tödliche (0,32% vs. 0,32%) und nichttödliche, aber schwerere Blutungen (0,58% vs. 0,55%) treten unter Clopi- dogrel nicht gehäuft auf;
kleinere Blutungen sind aber etwas häufiger als unter Plazebo (3,6% vs. 3,1%; p = 0,005). Fibrinolysen im Rahmen der Infarkttherapie erhöhen die
Blutungsrate unter Clopidogrel offenbar nicht.1
Inwieweit die ohnehin geringfügigen Effekte auf hiesige Verhältnisse übertragbar sind, bleibt offen. Vor allem ist unklar, ob die Nutzen/Schaden-
Bilanz auch bei Patienten positiv ist, die mit fibrinspezifischen Thrombolytika wie Alteplase (ACTILYSE) behandelt werden. In der hauptsächlich in Westeuropa
und Nordamerika durchgeführten CLARITY**-Studie, in der so gut wie alle Patienten fibrinolytisch behandelt wurden und knapp 70% mit fibrinspezifischen
Thrombolytika, ließ sich ein klinisch relevanter Nutzen von zusätzlichem Clopidogrel bei akutem ST-Hebungsinfarkt nicht nachweisen (a-t 2005; 36: 42-3).3
Metoprolol beeinflusst im Vergleich mit Plazebo weder die Mortalität (7,7% vs. 7,8%; OR 0,99; 95% CI 0,92-1,05) noch den primären kombinierten
Endpunkt aus Todesfällen, Infarkten oder Herzstillständen (9,4% vs. 9,9%; OR 0,96; 95% CI 0,90-1,01). Dabei nehmen rhythmogene Todesfälle unter
Metoprolol ab (1,7% vs. 2,2%), Todesfälle durch kardiogenen Schock jedoch in gleichem Maße zu (2,2% vs. 1,7%). Kammerflimmern (2,5% vs. 3,0%) und
Reinfarkte (2,0% vs. 2,5%) sind unter Metoprolol seltener, was aber ebenfalls durch eine Zunahme von kardiogenen Schockzuständen kompensiert wird (5,0%
vs. 3,9%). Auch Herzinsuffizienz (14,1% vs. 12,7%), Bradykardie (5,4% vs. 2,2%) und persistierende Hypotonie (6,0% vs. 2,9%) sind unter Metoprolol
häufiger.2
Weitere explorative Analysen weisen darauf hin, dass die Gefahr eines kardiogenen Schocks unter dem Betablocker vor allem an den ersten beiden Tagen nach
akutem Infarkt erhöht ist. Ein gewisser Nutzen durch Abnahme von Kammerflimmern und Reinfarkten wird dagegen erst nach dem zweiten Tag erkennbar. Wie
in der Gesamtgruppe bleibt auch in allen untersuchten Subgruppen ein Einfluss von Metoprolol auf die Mortalität aus. Es sind andererseits Patientengruppen
abzugrenzen, die in der Akutphase besonders von kardiogenem Schock unter dem Betablocker bedroht sind: Patienten über 70 Jahre, mit Tachykardie,
Hypotonie oder Zeichen einer kardialen Insuffizienz.2 Das begleitende Editorial weist wie zuvor schon eine systematische Übersicht auf die auch
bisher unsicheren Nutzenbelege für frühzeitig und intravenös gegebene Betablocker bei Patienten mit akutem Infarkt hin, die fibinolytisch behandelt
werden.4,5 Diese Einschätzung wird durch die Ergebnisse der COMMIT-Studie bekräftigt. Betablocker sollten danach an den ersten beiden
Tagen nach akutem Infarkt eher vermieden werden, vor allem bei hämodynamisch instabilen und kardial insuffizienten Patienten. Der Nutzen einer nach
Stabilisierung begonnenen und dauerhaften Betablockertherapie steht außer Frage.5
Der Thrombozytenaggregationshemmer Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX)
könnte zusätzlich zu Azetylsalizylsäure (ASS, ASPIRIN u.a.) für Patienten mit akutem Herzinfarkt von Nutzen sein, die weder fibrinolytisch noch
interventionell behandelt werden.
Eine begrenzte Therapiedauer von etwa zwei Wochen ist dann ausreichend;
anschließend kann die Therapie mit ASS allein fortgesetzt werden.
Für Patienten mit interventioneller Behandlung in der Akutphase ist die
Indikation für Clopidogrel über zwei bis vier Wochen ohnehin gegeben.6
Die Nutzen/Schaden-Bilanz von Clopidogrel bei Patienten, die mit fibrinspezifischen
Thrombolytika behandelt werden, bleibt offen. Sie ist letztlich auch für Patienten, die Streptokinase (STREPTASE) erhalten, nicht klar.
Die Akuttherapie mit dem Betablocker Metoprolol (BELOC u.a.) bei frischem Infarkt
senkt das Risiko von Reinfarkten und Kammerflimmern, steigert jedoch das Risiko eines kardiogenen Schocks. Die Mortalität bleibt in den ersten beiden
Wochen unbeeinflusst.
Betablocker sollten an den ersten Tagen nach akutem Infarkt eher vermieden
werden, besonders bei Patienten mit Zeichen einer kardialen Insuffizienz.
| | | (R = randomisierte Studie, M =
Metaanalyse)
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R | 1 | COMMIT Collaborative
Group: Lancet 2005; 366: 1607-21 |
R | 2 | COMMIT Collaborative
Group: Lancet 2005; 366: 1622-32 |
R | 3 | SABATINE, M.S. et al.:
N. Engl. J. Med. 2005; 352: 1179-89 |
| | 4 | SABATINE, M.S.: Lancet 2005; 366: 1587
-9 |
M | 5 | FREEMANTLE, N. et al.:
BMJ 1999; 318: 1730-7 |
R | 6 | SABATINE, M.S. et al.:
JAMA 2005; 294: 1224-32 |
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