Die Senkung des Blutzuckers mit Insulin oder Sulfonylharnstoffen in den nahezu normoglykämischen Bereich hat in zwei
Langzeitinterventionsstudien nicht den erwarteten günstigen Einfluss auf die hohe kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität bei Typ-2-Diabetes
erbracht (a-t 2002; 33: 17-8).1,2 Das einzige Antidiabetikum, für das begrenzte Daten für eine
Minderung der Sterblichkeit und Herzinfarktrate bei Typ-2-Diabetes vorliegen, ist Metformin (GLUCOPHAGE u.a.) als Monotherapie bei übergewichtigen
Patienten (a-t 1998; Nr. 10: 88-90).3 Nach der aktuell publizierten PROactive*-Studie soll sich auch das
Glitazon Pioglitazon (ACTOS; a-t 2000; 31: 103) günstig auf makrovaskuläre Komplikationen
auswirken.4 "Antidiabetikum schützt Herz und Hirn", titelt die Ärztezeitung.5
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PROactive = PROspective pioglitAzone Clinical Trial In macroVascular Events
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5.238 durchschnittlich 62 Jahre alte Patienten mit Typ-2-Diabetes und einem HbA1c über 6,5%** trotz Diabetestherapie nehmen an der von den Pioglitazon-
Anbietern Lilly und Takeda gesponserten Studie teil. Patienten mit Herzinsuffizienz NYHA II bis IV, ischämischen Ulzera, Gangrän oder Ruheschmerzen im
Bein oder Leberfunktionsstörung (GPT über dem 2,5fachen der oberen Norm) sind ausgeschlossen. Zu den Ausschlusskriterien gehört
außerdem Monotherapie mit Insulin. Die Teilnehmer haben ein hohes kardiovaskuläres Risiko: 47% haben einen Herzinfarkt, 19% einen Schlaganfall, 31%
eine koronare Revaskularisierung und 14% ein akutes Koronarsyndrom in der Vorgeschichte, 20% leiden an symptomatischer peripherer arterieller
Verschlusskrankheit. Zu Studienbeginn nehmen 84% der Patienten Metformin oder Sulfonylharnstoffe ein, allein oder in Kombination, zum Teil (30%) auch
zusätzlich zu Insulin. Die übrigen verwenden andere Kombinationen, 4% halten ausschließlich Diät. Nach randomisierter Zuteilung nimmt eine
Gruppe zusätzlich zur bisherigen Medikation täglich bis zu 45 mg Pioglitazon ein, die andere Gruppe Plazebo. Alle Medikamente, auch Blutdruck- oder
lipidsenkende Mittel, sollen im Studienverlauf optimal angepasst werden. Ziel der antidiabetischen Therapie ist ein HbA1c unter 6,5%.4
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Nach dem in der DCCT (Diabetes Control and Complications Trial)6 verwendeten Test oder äquivalenten Werten bei
Verwendung anderer Testverfahren
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Das HbA1c sinkt in 2,9 Jahren von eingangs 7,9% im Median um 0,8% unter Pioglitazon und um 0,3% unter Plazebo. Die Optimierung der Begleittherapie bleibt
unzulänglich: Obgleich ein Diabetes mit atherosklerotischen Begleiterkrankungen seit Publikation der Heart-Protection-Studie7 2002 eine klare
Indikation für Simvastatin (ZOCOR u.a.) ist (a-t 2002; 33: 83-4), nehmen am Ende der zwischen Mai 2001 und
Januar 2005 durchgeführten PROactive-Studie nur 55% der Teilnehmer ein Statin ein. Über die bei Diabetikern prognostisch wichtige Blutdruckeinstellung
und insbesondere über die antihypertensive Therapie finden sich unzureichende Angaben. In der Pioglitazongruppe nimmt jedoch der Blutdruck stärker ab
als unter Plazebo (systolisch im Median um 3 mmHg vs. 0 mmHg; p = 0,03).4
Obwohl die Ereignisrate um mehr als 40% höher liegt als ursprünglich kalkuliert, bleibt ein Einfluss von Pioglitazon auf den primären Endpunkt
aus (Tod, Herzinfarkt einschließlich stummer Infarkt, Schlaganfall, akutes Koronarsyndrom, Amputation oberhalb des Knöchels oder Revaskularisierung
von Koronarien oder Beinarterien; 19,7% der Patienten unter Pioglitazon vs. 21,7% unter Plazebo; Hazard Ratio [HR] 0,90; 95% Vertrauensbereich [CI] 0,80-1,02).
Auch die Gesamtsterblichkeit wird nicht beeinflusst (6,8% vs. 7,1%; HR 0,96; 95% CI 0,78-1,18). Ein sekundärer Kombinationsendpunkt aus Tod,
Herzinfarkt und Schlaganfall soll signifikant (p = 0,027) gesenkt werden (11,6% vs. 13,6%; HR 0,84; 95% CI 0,72-0,98; Number needed to treat = 50). Andererseits
nehmen die Häufigkeit einer Herzinsuffizienz (bei 10,8% vs. 7,5% der Patienten; p < 0,0001; Number needed to harm [NNH] = 30) sowie
Krankenhauseinweisungen wegen Herzinsuffizienz (5,7% vs. 4,1%; NNH = 63; p < 0,007) signifikant zu.4
Ödeme ohne Herzinsuffizienz werden unter Pioglitazon bei 22% der Patienten beobachtet im Vergleich zu 13% unter Plazebo, Hypoglykämiesymptome bei
28% vs. 20%. Das Körpergewicht nimmt im Pioglitazon-Arm um durchschnittlich 3,6 kg zu, im Plazebo-Arm dagegen um 0,4 kg ab. Im Hinblick auf
Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse insgesamt besteht kein Unterschied. Ein mögliches Risikosignal sind die häufigeren malignen
Blasentumoren unter Pioglitazon (14 [0,5%] vs. 6 [0,2%]). Akute Lebertoxizität unter dem Mittel wird nicht beobachtet.4
Das Fazit der Autoren lautet: "Pioglitazon senkt die Kombination aus Gesamtsterblichkeit, nichttödlichem Herzinfarkt und Schlaganfall bei Patienten mit
Typ-2-Diabetes, die ein hohes Risiko makrovaskulärer Komplikationen haben."4 Weil der einmal gewählte primäre Endpunkt nicht das
gewünschte Ergebnis zeigt, wird der angebliche klinische Nutzen umstandslos aus einem sekundären Endpunkt abgeleitet. Dies verbietet sich zum einen
aus methodischen Gründen: Bei nicht signifikantem primären Endpunkt kann das signifikante Ergebnis eines sekundären Endpunkts in aller Regel
nur als explorativ und nicht als beweisend gelten.8 Die Bedeutung, die diesem Endpunkt in der Lancet-Publikation beigemessen wird ("main secondary
endpoint"), hat er zudem in dem vorveröffentlichten Studiendesign offensichtlich noch nicht gehabt. Unter den dort genannten sekundären
Endpunkten taucht er gar nicht auf.9 Danach dürfte es sich bei der Kombination aus Gesamtsterblichkeit, Infarkt und Insult um einen post hoc
definierten Endpunkt ohne verlässliche Aussagekraft handeln.
Gegen die Schlussfolgerung der Autoren sprechen aber auch klinische Gründe: Die relevanten klinischen Herzkreislaufwirkungen von Pioglitazon sind weder
mit dem primären noch mit dem sekundären Sammelendpunkt hinreichend erfasst. Herzinsuffizienz, eines der bedrohlichsten Risiken der Glitazone und
gleichzeitig gefürchtete kardiale Folgeerkrankung des Diabetes, die hier eine besonders schlechte Prognose hat, fehlt. Sie wird aus nicht nachvollziehbaren
Gründen gar nicht als Endpunkt, sondern lediglich bei den unerwünschten Wirkungen erfasst. Pioglitazon steigert die Herzinsuffizienzrate um 3,3%. Diese
Zunahme überwiegt die in dem sekundären Sammelendpunkt dokumentierte Risikoreduktion von 2% deutlich. In welchem Ausmaß die erhöhte
Herzinsuffizienzrate auf die hierzulande (wegen Steigerung des Risikos) kontraindizierte Kombination mit Insulin zurückzuführen ist, bleibt unklar. Aus
Subgruppenanalysen, die nur einem unabhängigen Kommentar im Rahmen der Kongressvorstellung zu entnehmen sind, geht im Übrigen hervor, dass sich
Pioglitazon bei Statinanwendern weder auf den primären noch auf den sekundären Sammelendpunkt günstig auswirkt.10
Der manipulative Umgang mit Studiendaten durch die Autoren kommt neben der methodisch unzulässigen Überbewertung eines offensichtlich
nachträglich definierten sekundären Endpunkts auch darin zum Ausdruck, dass ein zweiter, im Protokoll prädefinierter, aber offenbar negativer
sekundärer Endpunkt, die kardiovaskuläre Mortalität, gar nicht ausgewertet wird. Es werden lediglich die absoluten Zahlen mitgeteilt, aus denen sich
Raten von 4,9% (Pioglitazon) vs. 5,2% errechnen.
Pioglitazon (ACTOS) hat in der PROactive-Studie als Zusatz zur bestehenden
antidiabetischen Medikation bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulären Risiko keinen Vorteil gegenüber Plazebo.
Auf den primären Endpunkt, eine Kombination aus Tod, Herzinfarkt,
Schlaganfall, Amputation und Revaskularisierungen, hat Pioglitazon keinen signifikanten Einfluss.
In unzulässiger Weise stilisieren die Autoren einen sekundären
Sammelendpunkt aus Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall mit nominell signifikanter Reduktion der Ereignisrate, der in dem vorveröffentlichten Design gar nicht
erwähnt ist und daher offenbar nachträglich definiert wurde, als Nutzenbeleg für Pioglitazon hoch. Es besteht somit Verdacht auf
Datenmanipulation.
Die absolute Risikoreduktion um 2% in dem Sammelendpunkt wird durch den Anstieg
der Herzinsuffizienzrate um über 3% unter Pioglitazon mehr als kompensiert.
Kardiovaskuläre und Gesamtsterblichkeit bleiben unbeeinflusst.
Ein klinischer Nutzen von Pioglitazon ist mit der PROactive-Studie nicht belegt.
Aufgrund der höheren Herzinsuffizienzrate ist nicht einmal die langfristige Sicherheit des Antidiabetikums hinreichend nachgewiesen.
| | | (R = randomisierte Studie)
|
R | 1 | UGDP:
Diabetes 1982; 31 (Suppl. 5): 1-81 |
R | 2 | UK
Prospective Diabetes Study Group: Lancet 1998; 352: 837-53 |
R | 3 | UK
Prospective Diabetes Study Group: Lancet 1998; 352: 854-65 |
R | 4 | DORMANDY, J.A. et al.: Lancet 2005; 366: 1279-89 |
| | 5 | Ärztezeitung vom 12. Okt.
2005 |
R | 6 | Diabetes
Control and Complications Trial Research Group: N. Engl. J. Med. 1993; 329: 977-86 |
R | 7 | Heart Protection Study
Collaborative Group: Lancet 2002; 360: 7-22
|
| | 8 | FREEMANTLE, N.: BMJ 2005; 331: 836-
8 |
| | 9 | CHARBONNEL, B. et al.: Diabetes Care
2004; 27: 1647-53 |
| | 10 | YKI-JÄRVINEN, H.: European
Association for the Study of Diabetes, Athen, Sept. 2005;
http://www.easd-lectures.org/athens/index.php?
menu=view&id=101 |
|