MITOXANTRON (RALENOVA) BEI MULTIPLER SKLEROSE |
Seit Februar 2003 wird das Zytostatikum Mitoxantron unter dem Warenzeichen RALENOVA zur Behandlung der aktiven sekundär-progredienten
oder progressiv-schubförmigen Multiplen Sklerose (MS) angeboten, wenn eine Vortherapie mit Immunmodulatoren versagt hat oder nicht vertragen
wird.1
EIGENSCHAFTEN: Der Wirkmechanismus des Zytostatikums bei Multipler Sklerose ist nicht vollständig geklärt. Über eine verringerte
Antikörperproduktion soll es eine Abnahme der Myelin-Zerstörung durch Makrophagen bewirken.
WIRKSAMKEIT: An der zulassungsrelevanten dreiarmigen Phase-III-Studie nehmen insgesamt 194 Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung teil
(durchschnittlicher Behinderungsgrad auf der KURTZKE-Skala [EDSS*] 4,5 bis 4,7
Punkte, vgl. a-t 2001; 32: 107-10). Sie erhalten zwei Jahre lang alle drei Monate 5 mg/m2 oder 12 mg/m2 Mitoxantron
bzw. eine gleichfarbige Plazebolösung als langsame Infusion. Als Hauptzielkriterium werden fünf verschiedene Parameter wie Zunahme der Behinderung
nach EDSS, Anzahl der mit Kortikosteroiden behandelten Rückfälle u.a. gemeinsam ausgewertet. 12 mg/m2 Mitoxantron schneidet hinsichtlich des
primären Endpunktes signifikant besser ab als das Scheinmedikament. Werden die Parameter einzeln betrachtet, scheint sich das Zytostatikum am
überzeugendsten auf die Anzahl der Rückfälle auszuwirken. Der Behinderungsgrad nimmt unter Mitoxantron um durchschnittlich 0,13 EDSS-Punkte
ab, dagegen unter Plazebo um 0,23 Punkte zu. Verschlechterung um mindestens einen Punkt auf der Zehn-Punkte-Skala betrifft 8% unter Verum im Vergleich zu
25% unter Plazebo. Rollstuhl-pflichtige Behinderungen werden bei 5% bzw. 11% erfasst. Der Unterschied ist nicht signifikant. Patienten, die mit Interferonen
(AVONEX, BETAFERON, REBIF) oder Glatiramerazetat (COPAXONE) vorbehandelt sind, wurden von der Teilnahme ausgeschlossen,2 also gerade die
Patienten, für die Mitoxantron jetzt zugelassen ist.
In einer weiteren kleinen plazebokontrollierten Studie werden monatlich 8 mg/m2 Mitoxantron geprüft - ein Schema, das vom zugelassenen abweicht.
Hierunter verschlechtert sich die MS im Verlauf von zwei Jahren bei 2 (7%) von 27 Teilnehmern um mindestens einen Punkt von zuvor durchschnittlich 3,5 Punkten
auf der KURTZKE-Skala im Vergleich zu 9 (37%) von 24 unter Scheinmedikament.3
Ein Vergleich von Mitoxantron mit Methylprednisolon (URBASON u.a.) über drei Jahre, bei dem sich kein Unterschied ergibt, eignet sich nicht zur
Nutzenbeurteilung, da Methylprednisolon für die Dauerbehandlung der MS unzureichend geprüft ist.6 Auffällig sind die hohen Abbruchraten
von 64% unter Mitoxantron und von 33% unter dem Kortikoid.4
Vergleichsstudien mit dem ebenfalls bei sekundären Verlaufsformen zugelassenen Interferon beta-1b (BETAFERON) wurden nicht durchgeführt.5
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Sehr häufig kommt es zu Übelkeit und Erbrechen (bis 86%),4 Haarausfall (61%),2
Infektionen der Atem- und Harnwege (53% bzw. 32%) sowie anhaltender Amenorrhö (25%).2 Das Blutbild ist regelmäßig zu
überprüfen, um die häufig beobachtete Knochenmarksuppression zu kontrollieren. Wegen des kardialen Schädigungspotenzials von
Mitoxantron (Herzrhythmusstörungen, Kardiomyopathie und Herzinsuffizienz) muss vor Behandlungsbeginn eine normale kardiale Funktion sichergestellt werden.
Die kumulative Gesamtdosis ist auf 140 mg/m2 Körperoberfläche zu begrenzen. Das Zytostatikum hat ein mutagenes und erbgutschädigendes
Potenzial.1 Zwei Berichte7,8 zu akuter Leukämie nach Therapie der MS mit Mitoxantron sind veröffentlicht, eine Patientin ist hieran
gestorben.7
DOSIS UND KOSTEN: Die Behandlung mit viermal jährlich 20 mg Mitoxantron als RALENOVA (12 mg pro m2 Körperoberfläche) kostet
2.050 €. Die Therapie mit 8 Mio. E. Interferon beta-1b (BETAFERON) jeden zweiten Tag ist mit 16.666 € pro Jahr achtmal so teuer.
Für RALENOVA sind pro Jahr 446 Euro (28%) mehr aufzuwenden als für das Wirkstoff- und Dosis-identische NOVANTRON, das ebenfalls von Wyeth,
aber ausschließlich für onkologische Indikationen angeboten wird.
Das Zytostatikum Mitoxantron (RALENOVA) ist für die Behandlung von
Patienten mit aktiver sekundär-progredienter oder progressiv schubförmiger Multipler Sklerose zugelassen, wenn eine Vortherapie mit Immunmodulatoren
versagt hat oder nicht vertragen wird.
In einer zweijährigen Zulassungsstudie wirkt sich Mitoxantron günstig auf
einen Kombinationsendpunkt aus mit dem deutlichsten Effekt auf Rückfälle. Ob es einen klinisch relevanten Einfluss auf das Fortschreiten von
Behinderungen hat, bleibt zu klären.
Die Teilnehmer erhalten das Zytostatikum als immunsuppressive Primärtherapie.
Somit wird in der Studie kein in Deutschland zugelassenes Therapieregime geprüft.
Wegen dosisabhängiger lebensbedrohlicher kardiotoxischer Schadeffekte sowie mutagener und kanzerogener Risiken erscheint uns die Nutzen-Schaden-
Abwägung von Mitoxantron bei MS negativ.
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