Die adjuvante hormonelle Brustkrebstherapie mit Tamoxifen (NOLVADEX u.a.) senkt die Rezidivrate und wirkt lebensverlängernd. Die empfohlene
fünfjährige Einnahme ist einer kürzeren Anwendungsdauer überlegen.1 Mit Aromatasehemmern wie Anastrozol (ARIMIDEX) lässt
sich bei Frauen nach den Wechseljahren die Redizivrate nach operablem Hormonrezeptor-positivem Brustkrebs anscheinend weiter senken. Dies geht aus drei
Doppelblindstudien hervor, in denen die Mittel entweder alternativ (Anastrozol, ATAC*-Studie) oder im Anschluss an eine zwei- bis dreijährige (Exemestan
[AROMASIN], IES*-Studie) oder viereinhalb- bis sechsjährige (Letrozol [FEMARA], MA.*-17-Studie) Therapie mit Tamoxifen eingenommen werden (vgl. Tabelle
Seite 20).2-4 Alle drei Studien werden nach relativ kurzer Dauer von etwa zweieinhalb Jahren publiziert. Zur ATAC-Studie mit Anastrozol liegen inzwischen
Daten über 5,7 Jahre vor.5 Vor allem wegen der offenen Frage, ob die neuen Mittel die Sterblichkeit der Frauen beeinflussen, und wegen der
unbekannten Langzeittoxizität sahen wir vor einem Jahr in der adjuvanten Brustkrebstherapie mit Aromatasehemmern keinen neuen Therapiestandard (a-t 2005; 36: 2-3). Seither sind drei wesentliche Studienpublikationen hinzugekommen.
Seit September 2005 ist die Abschlussanalyse der MA.-17-Studie mit Letrozol versus Plazebo nach fünfjähriger Tamoxifentherapie
veröffentlicht. Die Nachbeobachtungsdauer ist mit 30 Monaten kaum länger als bei Entblindung der Daten im Jahr 2003. Neu gegenüber der
Zwischenanalyse, die den Anlass zum vorzeitigen Abbruch gab (a-t 2003; 34: 99-100), ist eine
Subgruppenauswertung, nach der Letrozol die Sterblichkeit der Frauen mit Lymphknotenbefall signifikant senken soll (Hazard Ratio [HR] 0,61; 95% Konfidenzintervall
[CI] 0,38-0,98; p = 0,04). Bei Frauen ohne Lymphknotenbefall ergibt sich dagegen ein Trend zu erhöhter Sterblichkeit (HR 1,52; 95% CI 0,76-3,06).6
Ein gewisses Gewicht erhält die Analyse dadurch, dass die Randomisierung nach Lymphknotenstatus stratifiziert war. Die Auswertung scheint aber im
ursprünglichen Protokoll nicht vorgesehen, sondern erst "vor Durchführung der Zwischenanalyse" definiert worden zu sein. Eine Adjustierung
für multiples Testen fehlt. Die Robustheit des Ergebnisses ist zudem zweifelhaft, da die Nachbeobachtung nicht vollständig ist. Da keine allgemeine
Abschlussuntersuchung durchgeführt wurde, beruht die Analyse auf den jeweils letzten Kontakten vor der Entblindung (= Studienstopp) 2003,7 die
aufgrund der regulären Follow-up-Termine offensichtlich bis zu ein Jahr zurückliegen konnten. Obgleich nach Angaben des leitenden Statistikers praktisch
alle überlebenden Frauen auch nach dem Stopp weiter nachbeobachtet worden sein sollen, gehen diese Daten nicht mehr in die zwei Jahre später
publizierte Auswertung ein.7 Am Ende des ersten Studienjahres, wo wegen der Mindeststudiendauer von 13 Monaten eine Überprüfung
möglich ist, fehlen in jeder Gruppe die Daten von 120 Frauen, eine weit größere Zahl als die Differenz der Todesfälle bei Frauen mit
Lymphknotenbefall von 18 (31 unter Letrozol, 49 unter Plazebo). Einer Worst-case-Analyse (a-t 2005; 36: 87)
würde der Befund eines Überlebensvorteils unter Letrozol nicht standhalten. Er bedarf daher dringend der Bestätigung. Auch die potenzielle
Schädigung von Frauen ohne Lymphknotenbefall bedarf der Klärung in weiteren Studien. Die Interpretation der Daten wird außerdem dadurch
erschwert, dass nach einer weiteren Subgruppenanalyse nur die Frauen im Hinblick auf Sterblichkeit profitieren, die zuvor Tamoxifen länger als (die
empfohlenen) fünf Jahre eingenommen haben, deren Vorbehandlung also nicht standardgemäß war. In der Gesamtgruppe bleibt die Sterblichkeit
ohnehin unbeeinflusst.6
Ende 2005 ist eine weitere Untersuchung mit Letrozol erschienen (BIG** 1-98). Die vierarmige Doppelblindstudie prüft den Aromatasehemmer
als fünfjährige endokrine adjuvante Therapie im Vergleich mit Tamoxifen sowie in zwei weiteren Gruppen den Wechsel von Tamoxifen hin zu Letrozol und
umgekehrt, jeweils nach zweijähriger Initialbehandlung. 8.010 Frauen nach den Wechseljahren mit Hormonrezeptor-positivem Brustkrebs nehmen teil.
Primärer Endpunkt ist wie in den bisherigen Studien das krankheitsfreie Überleben, definiert als Zeit bis zum Auftreten eines lokoregionalen oder distalen
Rezidivs, eines Zweittumors in der kontralateralen Brust, eines Zweittumors an anderer Stelle oder Tod ohne vorherige Krebskomplikation. Für den jetzt
publizierten Vergleich von Letrozol und Tamoxifen als initiale Option werden aus den Gruppen mit sequenzieller Therapie nur die Zeiten bis 30 Tage nach dem
Wechsel ausgewertet.8
** |
BIG = Breast International Group
|
Die Rate der Rezidive, Zweitkarzinome oder Todesfälle ist im Verlauf von 25,8 Monaten unter Letrozol signifikant geringer als unter Tamoxifen (8,8% vs. 10,7%;
Number needed to treat [NNT] 53; HR 0,81; 95% CI 0,70-0,93). Wegen des innerhalb von fünf Jahren zunehmenden Nutzens von Tamoxifen ist die bisherige
Nachbeobachtungsdauer der Studie zu kurz, um aussagekräftig zu sein. Nach prädefinierten Subgruppenanalysen profitieren nur die Frauen mit
Lymphknotenbefall. Bei Patientinnen mit Tumorgröße über 2 cm oder mit Chemotherapie scheint der Effekt größer zu sein als bei denen mit
kleineren Tumoren oder ohne Chemotherapie. Die Gesamtsterblichkeit wird nicht signifikant beeinflusst (4,1% vs. 4,8%; HR 0,86; 95% CI 0,70-1,06). Bei der
tumorunabhängigen Sterblichkeit ergibt sich ein Trend zu Ungunsten von Letrozol (1,4% vs. 0,9%; p = 0,08).8
Bereits seit August 2005 liegt die gepoolte Auswertung von zwei Studien aus Österreich und Deutschland vor, in denen Frauen mit Hormonrezeptor-positivem
Brustkrebs nach zweijähriger adjuvanter Tamoxifeneinnahme auf täglich 1 mg Anastrozol wechseln oder weiterhin Tamoxifen
einnehmen. Auch diese Studien werden nach medianem Follow-up von 28 Monaten, gerechnet ab Abschluss der initialen hormonellen Therapie, vorzeitig publiziert.
Im Unterschied zu den bisherigen Studien werden die beiden offen durchgeführt. Nicht einmal die Endpunkte werden verblindet erhoben.9
Ein weiteres schwerwiegendes methodisches Problem der gemeinsamen Auswertung besteht darin, dass die Frauen in der größeren der beiden Studien,
dem österreichischen ABCSG***-trial-8, gleich nach der Operation randomisiert werden, also noch vor Beginn der zweijährigen
Tamoxifeneinnahme. In der kleineren deutschen Studie (ARNO***95) wird die Randomisierung erst im Verlauf dieser zwei Jahre vorgenommen. Insgesamt
werden 4.960 Frauen aufgenommen und randomisiert. Von der gemeinsamen Auswertung werden nun Patientinnen ausgeschlossen, die die zweijährige
Initialbehandlung noch nicht beendet haben, während dieser Zeit die Therapie abgebrochen haben, gestorben sind oder Rezidive oder ein Zweitkarzinom
entwickelt haben, sowie solche, die den Einschlusskriterien nicht entsprechen, insgesamt 1.736 Frauen oder 35%. Das Intention-to-treat-Prinzip wird somit eklatant
verletzt. Die Verzerrungsmöglichkeiten aufgrund einer so hohen Ausschlussrate, noch dazu in offenen Studien, sind so groß, dass die Daten unseres
Erachtens nicht verwertbar sind. Im Abstract der Publikation wird der Leser über den Sachverhalt getäuscht: Hier heißt es, dass die Frauen, die die
zweijährige Tamoxifentherapie abgeschlossen hatten, randomisiert wurden, und genannt ist in diesem Zusammenhang nur die Zahl der ausgewerteten, nicht
aber die Zahl der tatsächlich randomisierten Teilnehmerinnen.9
Nach spärlichen und inkonsistenten Angaben scheint auch bei den in die Auswertung aufgenommenen 3.224 Frauen die Nachbeobachtung
unvollständig zu sein. Auf der Basis dieser Daten errechnen die Autoren, dass sich durch Wechsel auf Anastrozol das Risiko eines lokoregionalen oder distalen
Rezidivs oder eines erneuten Karzinoms in der kontralateralen Brust im Verlauf von 28 Monaten auf 4,1% verringert im Vergleich zu 6,8% unter Fortführung von
Tamoxifen (HR 0,60; 95% CI 0,44-0,81). Mehr noch: Bei gepoolter Analyse dieser beiden Studien und einer dritten, italienischen Studie (ITA****)10
mit 448 Patientinnen soll sich durch Wechsel auf Anastrozol nach zwei- bis dreijähriger Tamoxifentherapie im Verlauf von 30 Monaten erstmals eine signifikante
Senkung der Gesamtsterblichkeit ergeben haben.11,12 Diese Metaanalyse wurde Ende vergangenen Jahres auf einem Kongress vorgestellt. Von den
ursprünglich randomisierten Frauen aus den österreichisch-deutschen Studien werden hier etwa 300 weitere mit ausgewertet.12 Es fehlen somit
aber immer noch rund 30%. Bei der italienischen Untersuchung handelt es sich ebenfalls um eine offene Studie ohne verblindete Endpunkterfassung, die auf der
Basis zweier ungeplanter Zwischenanalysen vorzeitig abgebrochen wird.10 Wie auch immer die bislang nicht vollständig veröffentlichte
Metaanalyse vorgenommen wurde, schon allein die Datenbasis erscheint für valide Aussagen völlig unzureichend.
**** |
ITA = Italian Tamoxifen Anastrozole
|
In der adjuvanten hormonellen Therapie des Brustkrebses senken
Aromatasehemmer im Vergleich mit dem Standard Tamoxifen (NOLVADEX u.a.) die Rezidivrate.
Für Anastrozol (ARIMIDEX) und Letrozol (FEMARA) ist dies dokumentiert, wenn
sie von Anfang an alternativ zu Tamoxifen eingenommen werden, für Exemestan (AROMASIN) und Letrozol bei Anschlussbehandlung nach zwei- bis
dreijähriger bzw. beendeter viereinhalb- bis sechsjähriger Tamoxifentherapie.
Die gepoolten Auswertungen von Studien zur Sequenztherapie mit Anastrozol
bleiben wegen grober methodischer Mängel ohne Aussagekraft.
Ein günstiger Einfluss von Aromatasehemmern auf die Lebenserwartung der
Frauen ist nicht belegt. Bei Patientinnen mit Lymphknotenbefall soll durch Anschlussbehandlung mit Letrozol nach beendeter Tamoxifentherapie die Sterblichkeit
sinken. Die Validität dieses Befundes ist jedoch zweifelhaft. Er bedarf der Bestätigung.
Tamoxifen ist daher u.E. nach wie vor Mittel der Wahl zur adjuvanten hormonellen
Brustkrebstherapie auch nach der Menopause. Eine Indikation für einen Aromatasehemmer sehen wir nur bei Kontraindikation oder Unverträglichkeit von
Tamoxifen. Nach standardgemäß abgeschlossener Tamoxifentherapie kann im Einzelfall bei Lymphknotenbefall und hohem Rezidivrisiko
Anschlussbehandlung mit Letrozol erwogen werden. Die Frauen sind über die Unsicherheit der Datenlage aufzuklären.
| | | (R = Randomisierte Studie)
|
| | 1 | Early Breast Cancer Trialists' Collab. Group:
Lancet 2005; 365: 1687-717 |
R | 2 | The ATAC Trialists'
Group: Lancet 2002; 359: 2131-9 |
R | 3 | GOSS, P.E. et al.: N.
Engl. J. Med. 2003; 349: 1793-802 |
R | 4 | COOMBES, R.C. et al.: N.
Engl. J. Med. 2004; 350: 1081-92
|
R | 5 | ATAC Trialists' Group:
Lancet 2005; 365: 60-2 |
R | 6 | GOSS, P.E. et al.: J. Nat.
Cancer Inst. 2005; 97: 1262-71 |
| | 7 | TU, D.: Schreiben vom 23. und 27. Jan.
und 3. Febr. 2006 |
R | 8 | The Breast International
Group (BIG) 1-98 Collaborative Group: N. Engl. J. Med. 2005; 353: 2747-57 |
R | 9 | JAKESZ, R. et al.: Lancet
2005; 366: 455-62 |
R | 10 | BOCCARDO, F. et al.: J.
Clin. Oncol. 2005; 23: 5138-47 |
| | 11 | Scrip 2005; Nr. 3116: 19 |
| | 12 | NIERENGARTEN, M.B.: Medscape
Medical News vom 12. Dez. 2005 |
| | 13 | Pharmacia & Upjohn: US-am. Fachinf.
AROMASIN, Stand Okt. 2005 |
|