THOMAPYRIN: STANDARD IN DER KOPFSCHMERZ (SELBST)-BEHANDLUNG? |
Als Apothekerin und Leiterin von Seminaren für Kopfschmerzpatienten habe ich bisher für die Selbstmedikation aufgrund des
erhöhten nephrotoxischen Risikos der Kombipräparate nur Monopräparate empfohlen. Ich habe dabei immer auf entsprechende Artikel des arznei-
telegramm (a-t 2003; 34: 58-60) verwiesen. Wie beurteilen Sie die neue THOMAPYRIN-Studie (Prof. Dr. DIENER)?
S. FRIEDRICHS (Apothekerin)
D-41469 Neuss
Interessenkonflikt: keiner
In einer Anfang August an Apotheken verteilten Werbeaussendung kündigen die Firmen Boehringer Ingelheim und Thomae einen
"Paradigmenwechsel in der Kopfschmerztherapie" an.1 Bei 1.743 "typischen Selbstmedikationspatienten", die wegen ihrer
Kopfschmerzen üblicherweise rezeptfreie Arzneimittel verwenden, soll die Kombination aus 500 mg Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.), 400 mg
Parazetamol (BENURON u.a.) und 100 mg Koffein (entsprechend 2 Tabletten THOMAPYRIN) "signifikant schneller und besser wirksam"sein als 1.000
mg ASS oder 1.000 mg Parazetamol oder die Kombination aus ASS und Parazetamol - und dies bei "ausgezeichneter Verträglichkeit".1 An
der als Beleg zitierten, von Boehringer Ingelheim gesponserten randomisierten, verblindeten Studie2,3 nehmen Patienten teil, die bei einem Arztbesuch mit
Selbstmedikation behandelte Kopfschmerzen (70-80% Migräne, 16-20% Spannungskopfschmerz) angeben. Kopfschmerzen stellen jedoch ausdrücklich
nicht den Konsultationsgrund dar. Die mittlere Zeit bis zum Erreichen einer 50%igen Schmerzlinderung (primärer Endpunkt), analysiert während einer
einzigen Kopfschmerzattacke, beträgt unter der Dreifachkombination 1 Stunde 5 Minuten, unter ASS plus Parazetamol 1 Stunde 13 Minuten, unter ASS 1
Stunde 19 Minuten und unter Parazetamol 1 Stunde 21 Minuten. Die Unterschiede sind zwar statistisch signifikant, klinisch jedoch ohne Relevanz.
Doch selbst diese klinisch unbedeutenden Zeitunterschiede entbehren einer methodisch soliden Grundlage: Ursprünglich sollten die Ergebnisse von zwei
Kopfschmerzattacken gemeinsam analysiert werden. Dieser geplante primäre Endpunkt bzw. dessen Auswertung werden jedoch geändert, ohne dass der
Zeitpunkt der Änderung nachvollziehbar ist (z.B. vor Entblindung der Daten oder später).2,3 Korrekturen für die Vielzahl der Auswertungen
sucht man vergeblich. 6 von 147 Zentren werden im Verlauf der Studie ausgeschlossen, da sie gefälschte Patiententagebücher einsandten. Insgesamt
sind die Angaben zu den ein- und ausgeschlossenen Patienten verwirrend.
Bei der Schilderung der Verträglichkeit, für deren Beurteilung das Studiendesign ohnehin wenig Aussagekraft hat, wird kein Wort über den
potenziellen Zusammenhang zwischen langfristiger Einnahme von Kombinationsanalgetika und Analgetikanephropathie verloren. Zudem fehlt der Hinweis, dass die
Koffeinbeimischung möglicherweise Dauergebrauch fördert (a-t 2003; 34: 58-60).
Von Paradigmenwechsel keine Spur: Die fragwürdige Marketingstudie, deren Erstautor Hans-Christoph DIENER gleichzeitig Herausgeber der publizierenden
Zeitschrift2 ist, bietet keinen Erkenntnisgewinn. Sie kann keine Begründung dafür sein, dass Selbstmedikationspatienten für die
Dreifachkombination drei- bis viermal so viel bezahlen sollen wie für ein günstiges ASS- oder Parazetamol-Generikum und dabei noch zusätzliche
Risiken in Kauf nehmen müssen.
DIENER wird in der Werbeaussendung mit einer eindeutigen Empfehlung zu Gunsten von THOMAPYRIN zitiert. Der Vorgang ist allerdings nichts Neues: In
periodischen Abständen versucht der THOMAPYRIN-Hersteller, unter Einbeziehung von Experten und Fachgesellschaften den Anteil des Marktrenners auf
dem OTC-Markt mit angeblich neuen Erkenntnissen zu erhalten (a-t 2001; 32: 101-2). Und auch DIENER macht sich
in schöner Regelmäßigkeit für so zweifelhafte Mittel wie Pestwurz (PETADOLEX, vgl. a-t 2004; 35:
43)4 oder die Dipyridamol-ASS-Kombination AGGRENOX (a-t 1999; Nr. 10: 109)5 stark. Dass er
Vorsitzender der Leitlinien-Kommission der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ist, zudem als Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft für eine objektive Arzneimittelinformation sorgen sollte, stimmt auch angesichts von 29 deklarierten Firmenverbindungen6
(z.B. als Berater, Redner oder Studienleiter) bedenklich, -Red.
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