ATRAUMATISCHE FRAKTUREN MIT GESTÖRTER HEILUNG UNTER ALENDRONAT |
Das Bisphosphonat Alendronat (FOSAMAX) senkt in einer dreijährigen plazebokontrollierten Studie1 bei Frauen mit Osteoporose und
vorbestehenden Wirbelbrüchen (FIT* 1) das Risiko erneuter, durch systematische Röntgenaufnahmen entdeckter Wirbelfrakturen sowie - allerdings
weniger gut belegt (einer von mehreren sekundären Endpunkten, aber hoch signifikante Differenz) - die Häufigkeit klinisch auffälliger
Wirbelbrüche. Eine Verringerung von Hüft- und Handgelenksfrakturen ist dagegen nicht hinreichend gesichert, da bei diesen sekundären
Endpunkten nur eine grenzwertig signifikante Differenz erreicht wird (1,1% vs. 2,2% [p = 0,047] bzw. 2,2% versus 4,1% [p = 0,013]; a-t 2001; 32: 79-80 und 1999; Nr. 5: 51). In der
Primärpräventionsstudie FIT 2,2 an der Frauen mit niedriger Knochendichte, aber ohne vorbestehende Wirbelsinterung teilgenommen haben,
nimmt unter Alendronat die Zahl symptomatischer Wirbelbrüche ab. Dabei handelt es sich allerdings um den sekundären Endpunkt einer primär
negativ verlaufenen Studie: Für klinisch auffällige Frakturen insgesamt (primärer Endpunkt) lässt sich kein Nutzen nachweisen.
Handgelenksbrüche kommen unter dem Bisphosphonat numerisch sogar häufiger vor.2
Optimale Einnahmedauer und langfristige Folgen der Therapie mit Alendronat sind unbekannt. Bisphosphonate werden in den Knochen eingebaut und hemmen
neben der durch Osteoklasten vermittelten Resorption indirekt auch die Neubildung und damit den kontinuierlich stattfindenden Umbau des Knochens.3 Da
die terminale Halbwertszeit von Alendronat auf über zehn Jahre geschätzt wird, ist von Kumulation im Knochen auszugehen.
Bisphosphonate wirken nicht anabol, das Knochenvolumen nimmt nicht zu. Da der Knochenumbau gehemmt wird, entsteht weniger neuer Knochen.
"Alter" Knochen enthält weniger Wasser und mehr Mineralien und erscheint radiologisch dichter. Während eine Zunahme der Mineralisation die
Bruchfestigkeit des Knochens offenbar zumindest bis zu einem gewissen Punkt erhöht, scheint es eine Schwelle zu geben, ab der der Knochen spröde
wird.3 Hinweise darauf ergeben sich beispielsweise aus einer Studie mit Risedronat (ACTONEL), in der die 2,5-mg-Dosis das Risiko von Hüftfrakturen
gegenüber Plazebo senkt, nicht aber die 5-mg-Dosis, obwohl unter dieser die Knochendichte stärker zunimmt.3,4 Im Tierexperiment lässt
sich unter Alendronat zudem eine Anhäufung von Mikroschäden nachweisen, da diese durch den gehemmten Knochenumbau nicht mehr repariert
werden, mit daraus resultierender Abnahme der Elastizität des Knochens.3,5
Nachdem kürzlich vor Knochennekrosen des Kiefers unter Bisphosphonaten gewarnt wurde (a-t 2005; 36: 23-4),
berichten US-amerikanische Ärzte jetzt über neun Patienten, die überwiegend nach langjähriger Einnahme von Alendronat während
normaler täglicher Aktivitäten atraumatische Frakturen des Femurschaftes (zum Teil bilateral), der Rippen oder der Beckenknochen (Kreuz-, Sitz- und
Schambein) erleiden.5 Alle haben zusätzlich Kalzium und Vitamin D eingenommen. Sechs Frauen verwenden das Bisphosphonat wegen
postmenopausaler Osteoporose oder Osteopenie, davon drei in Kombination mit einem Östrogen. Ein Mann nimmt Alendronat wegen idiopathischer
Osteoporose, zwei Frauen mit Asthma beziehungsweise Fibromyalgie wegen steroidinduzierter Osteoporose. Die Frakturen sind bei alleiniger Alendronat-Anwendung
nach sechs bis acht Jahren aufgetreten, bei Kombination mit Östrogenen nach drei bis fünf Jahren und bei gleichzeitiger Einnahme eines Kortikosteroids
nach ein bis zwei Jahren. Bei sechs Betroffenen weisen Röntgenaufnahmen drei Monate bis zwei Jahre nach dem Ereignis auf eine gestörte
Frakturheilung hin (keine adäquate Kallusbildung u.a.). Wegen der ungewöhnlichen Klinik und der für Osteoporose untypischen Bruchlokalisationen
werden allen neun Patienten Knochenbiopsien entnommen. Diese ergeben neben einem verminderten Knochenvolumen Hinweise auf eine stark reduzierte
Knochenneubildung. Nach Absetzen von Alendronat heilen die Frakturen bei fünf Patienten innerhalb von drei bis acht Monaten. Bei den vier anderen
Betroffenen, von denen drei zuvor ausschließlich Alendronat eingenommen haben, ist die Heilung auch noch acht bis zwölf Monate nach Absetzen
gestört.5
Auf mögliche ungünstige Effekte einer längeren Alendronat-Anwendung wird auch in einem Leserbrief6 anlässlich der Publikation einer
Verlängerungsphase zweier gemeinsam ausgewerteter klinischer Studien hingewiesen: Während in den ersten drei Studienjahren unter 10 mg Alendronat
bei 2,8% ein Wirbelbruch durch radiologisches Screening entdeckt wird (entsprechend einer Rate von 0,9%/Jahr),7 erleiden im 6. und 7. Jahr trotz
weiterer Zunahme der Knochendichte jeweils 3,3% eine symptomatische Wirbelfraktur.8 Da nur etwa ein Drittel aller Wirbelbrüche
symptomatisch wird, sind die Zahlen mit einem deutlichen Anstieg der Frakturhäufigkeit vereinbar.6 Wir werten sie als Risikosignal, das durch die
Autoren der herstellergestützten Untersuchung in einer Erwiderung nicht ausgeräumt wird, da diese dem nur widersprüchliche, nicht
nachprüfbare Angaben entgegensetzen9 und eine geeignete Kontrollgruppe fehlt. Eine systematische Überprüfung des langfristigen
Effektes von Alendronat auf Knochenbrüche ist offenbar nicht intendiert: Sowohl in den Verlängerungen dieser beiden Studien als auch in einer
Nachfolgeuntersuchung der FIT-Studien werden Frakturen nicht als primärer oder sekundärer Endpunkt ausgewertet, sondern lediglich explorativ bzw. als
unerwünschte Effekte erfasst.
In klinischen Studien ist ein Nutzen des Bisphosphonats Alendronat (FOSAMAX)
nur für eine bis zu vierjährige Einnahme belegt.
Aussagefähige Langzeitdaten zu Wirksamkeit und Risiken fehlen bis heute.
Atraumatische Frakturen des Oberschenkels, Beckens u.a. während normaler
täglicher Aktivitäten nach mehrjähriger Einnahme des Bisphosphonats, die erst nach Absetzen (oder gar nicht) heilen, weisen auf mögliche
negative Auswirkungen des gehemmten Knochenumbaus hin. Bei gleichzeitiger Anwendung von Östrogenen oder Kortikosteroiden treten die
Knochenbrüche möglicherweise früher auf.
Wir sehen eine Indikation für Alendronat nur bei schwerer manifester
Osteoporose mit vorbestehenden Wirbelbrüchen und nur für maximal drei bis vier Jahre. Selbst bei dieser begrenzten Anwendungsdauer bleiben die
Langzeitfolgen des über Jahrzehnte im Knochen eingelagerten Bisphosphonats allerdings ungewiss.
| | | ( R = randomisierte Studie)
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R | 1 | BLACK, D.M. et al.:
Lancet 1996; 348: 1535-41 |
R | 2 | CUMMINGS, S.R. et al.:
JAMA 1998; 280: 2077-82 |
| | 3 | OTT, S.M.: J. Clin. Endocrinol. Metab. 2005; 90: 1897-
9 |
R | 4 | McCLUNG, M.R. et al.:
N. Engl. J. Med. 2001; 344: 333-40 |
| | 5 | ODVINA, C.V. et al.: J. Clin.
Endocrinol. Metab. 2005; 90: 1294-1301 |
| | 6 | OTT, S.M.: J. Clin. Endocrinol. Metab.
2001; 86: 1835 |
R | 7 | LIBERMAN, U.A. et al.:
N. Engl. J. Med. 1995; 333: 1437-43 |
| | 8 | TONINO, R.P. et al.: J. Clin. Endocrinol. Metab. 2000; 85:
3109-15 |
| | 9 | TONINO, R.P. et al.: J. Clin. Endocrinol.
Metab. 2001; 86: 1835-6 |
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