DULOXETIN JETZT AUCH ALS ANTIDEPRESSIVUM:
CYMBALTA
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Der Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin, der als
YENTREVE seit August 2004 zur Therapie der Belastungsinkontinenz angeboten wird (a-t 2004; 35: 120), ist jetzt als
CYMBALTA zur Behandlung von Depressionen im Handel.1 CYMBALTA wird zu einer Zeit eingeführt, in der Nutzen und Sicherheit insbesondere der
neueren Antidepressiva zunehmend in die Diskussion geraten (a-t 2003; 34: 63-4 und 114; 2004; 35: 45-6 und 2005;
36: 1-2; siehe Seite 45).
EIGENSCHAFTEN: Ähnlich wie Venlafaxin (TREVILOR) hemmt Duloxetin die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin,
schwächer auch von Dopamin.1,2
Die Pharmakokinetik von Duloxetin unterliegt einer großen Variabilität. Die orale Bioverfügbarkeit beträgt zwischen 30% und 80%. Duloxetin wird
in der Leber durch die Zytochrom-P(CYP)-450-Enzyme 2D6 und 1A2 verstoffwechselt. Die Eliminationshalbwertszeit liegt zwischen 8 und 17 Stunden. Duloxetin darf
nicht bei Leberfunktionsstörungen, schwerer Niereninsuffizienz und nicht zusammen mit starken CYP-1A2-Hemmern wie Ciprofloxacin (CIPROBAY u.a.)
eingenommen werden.1
KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Wie andere neuere Antidepressiva3 wirkt auch Duloxetin kaum besser als ein Scheinmedikament (vgl. Seite 46). Von den sechs Phase-3-Studien zur Akuttherapie der Depression mit insgesamt knapp 2.000 Patienten, die der
europäischen Zulassung zugrunde liegen, sind zwei negativ.2 Vollständig veröffentlicht sind, wie zu erwarten, nur die vier Positivstudien (vgl.
a-t 2004; 35: 29-30 und 45-6).4-7 Der Plazeboeffekt reicht von
54% bis 92% des Verumeffekts, gemessen nach acht bis neun Wochen anhand der HAMILTON-Depressionsskala*. In der Mehrzahl der Vergleiche von täglich
2 x 20 mg bis 2 x 60 mg Duloxetin mit Scheinmedikament beträgt er mehr als 70%. Unklar ist, ob der geringe Vorteil des Verums infolge der
"Entblindung" durch typische Störwirkungen vorgetäuscht ist.3
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Die HAMILTON Depression Rating-Skala (HAMD) ist ein in klinischen Studien häufig verwendeter 17 Items (50 Punkte) bzw.
21 Items (62 Punkte) umfassender Erhebungsbogen zu depressiver Symptomatik.
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In einer sechsmonatigen Studie zur Rezidivprävention mit 278 Patienten, die zuvor auf Duloxetin angesprochen haben, erleiden unter Plazebo 29%, unter
Verum 17% einen Rückfall.2 Auch für dieses Ergebnis spielt möglicherweise ein Bruch der Verblindung durch "Entzug" von
Nebenwirkungen bei Umstellen auf Plazebo eine Rolle.
Eine "zweifache Wirksamkeit" von Duloxetin sowohl gegen die seelischen als auch gegen körperliche Beschwerden und Schmerzen im Rahmen der
Depression wird herausgestellt.8 Veröffentlichte Studien mit depressiven Patienten, in denen primär oder als sekundäre Endpunkte auch
Schmerzen erfasst werden, lassen nur einen sehr inkonsistenten analgetischen Effekt im Vergleich mit Plazebo erkennen.4-7,9
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Am häufigsten ist mit Übelkeit (20%), Kopfschmerzen (15%), Mundtrockenheit (15%), Verstopfung (11%)
und Schlaflosigkeit (10%) zu rechnen.2 Bei 2% bis 10% der Anwender treten Schwindel, Müdigkeit, Durchfall, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust,
Erbrechen, Schwitzen, Hitzewallungen, Angst, Tremor und Verschwommensehen auf. Libidoverlust, Orgasmus- und Ejakulationsstörungen sowie erektile
Dysfunktion kommen ebenfalls häufig vor (3% bis 4%). Die mittlere Herzfrequenz nimmt um 2 pro Minute, der mittlere systolische Blutdruck um 2 mmHg, der
diastolische um 0,5 mmHg zu (vgl. a-t 2005; 36: 31-2). Hypertensive Krise ist beschrieben. In den USA wird empfohlen,
den Blutdruck vor Therapiebeginn und regelmäßig während der Einnahme zu überwachen.10 Mehrfach sind orthostatische Hypotonie
oder Synkope beschrieben.11 Duloxetin kann Mydriasis auslösen. Vorsicht ist bei Patienten mit erhöhtem Augeninnendruck oder Risiko für
akutes Engwinkelglaukom geboten.1
Bei 0,9% der Patienten in Depressionsstudien steigt die GPT auf mehr als das Dreifache der oberen Norm im Vergleich zu 0,3% unter Plazebo.10 Vier
Anwender, darunter drei mit Hinweisen auf starken Alkoholkonsum, erleiden unter der Einnahme schwere Leberschäden.2,11 Die US-amerikanische
Fachinformation rät von der Verordnung bei Patienten mit starkem Alkoholkonsum ab.10 Vier Duloxetin-Anwender erleiden Krampfanfälle.2
Bei Epilepsie in der Vorgeschichte ist Vorsicht geboten.1 Wie bei anderen neueren Antidepressiva (a-t 2003;
34: 104) ist nach Absetzen von Duloxetin mit Entzugsbeschwerden zu rechnen. Häufig kommt es dabei zu Schwindel, Übelkeit, Erbrechen,
Kopfschmerzen, Parästhesien, Reizbarkeit und Alpträumen.2,10 Zur Minimierung der Entzugsbeschwerden soll Duloxetin üblicherweise
über mindestens zwei Wochen ausgeschlichen werden.1
Suizidversuche und vollendeter Suizid sind beschrieben,10 darunter eine junge Studentin, die als gesunde Probandin an einer Duloxetin-Studie
teilgenommen hat.12 Der Hersteller hat sich zu einem Postmarketing-Überwachungsprogramm zur Frage des Suizidrisikos unter dem Mittel
verpflichtet.2
KOSTEN: Duloxetin (CYMBALTA) verteuert die Therapie der Depression mit monatlich 54 € für täglich 60 mg gegenüber dem
Paroxetin-Original SEROXAT (monatlich 38 € für täglich 20 mg) um 43%, gegenüber einem Paroxetin-Nachfolgepräparat wie
PAROXEDURA (29 €/Monat) um 88%.
Wie andere neuere Antidepressiva wirkt auch der Serotonin-Noradrenalin-
Wiederaufnahmehemmer Duloxetin (CYMBALTA) bei Depression kaum besser als ein
Scheinmedikament. Der geringe Vorteil wird möglicherweise infolge "Entblindung" durch typische Störwirkungen vorgetäuscht.
Unerwünschte Effekte sind häufig. Zu warnen ist insbesondere vor einer
möglichen Zunahme der Suizidalität.
Wir raten vom Gebrauch der Scheininnovation Duloxetin ab.
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| | | (R = randomisierte Studie, M =
Metaanalyse)
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| | 1 | Boehringer I./Lilly: Fachinformation
CYMBALTA, Stand Dez. 2004
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| | 2 | EMEA: Europ. Beurteilungsbericht
CYMBALTA, 27. Jan. 2005; http://www.emea.eu.int/humandocs/Human/EPAR/Cymbalta/cymbalta.htm
a> |
M | 3 | KIRSCH, I. et al.:
Prevention and Treatment 2002; 5: Article 23; http://www.journals.apa.org/prevention/volume5/pre0050023a.html |
R | 4 | DETKE,
M.J. et al.: J. Clin. Psychiatry 2002; 63: 308-15 |
R | 5 | DETKE, M.J. et al.: J.
Psychiatr. Res. 2002; 36: 383-90 |
R | 6 | DETKE, M.J. et al.: Eur.
Neuropsychopharmacology 2004; 14: 457-70 |
R | 7 | GOLDSTEIN, D.J. et al.:
J. Clin. Psychopharmacology 2004; 24: 389-99 |
| | 8 | GENSTHALER, B.M.: Pharm. Ztg. 2005;
150: 494 |
R | 9 | BRANNAN, S.K. et al.: J.
Psychiatr. Res. 2005; 39: 43-53 |
| | 10 | US-amerikanische Produktinformation
CYMBALTA, Jan. 2005 |
| | 11 | Center for Drug Eval. and Res. (USA):
Med. Review Duloxetine, Sept. 2003; zu finden über http://www.accessdata.fda.gov/scripts/cder/drugsatfda |
| | 12 | HARRIS, G.: New York Times, 12. Febr.
2004 |