LOW DOSE LANGZEIT-ANTIKOAGULATION NACH IDIOPATHISCHEN THROMBOSEN? |
Die optimale Dauer der oralen Antikoagulation nach venösen Thromboembolien ist offen. Internationale Leitlinien empfehlen drei Monate, wenn ein
zeitlich befristeter Auslöser wie Operation oder Trauma vorausging. Bei erstmaligen idiopathischen Thromboembolien werden mindestens sechs Monate, bei
rezidivierenden idiopathischen Thromboembolien oder solchen mit dauerhaft erhöhtem Risiko wie Tumorerkrankungen oder Thrombophilie zwölf Monate
oder länger empfohlen.1 INR*-Zielwerte von 2-3 gelten heute als ausreichend.2 Ein Problem bei der Umsetzung dieser Empfehlungen in der
Praxis ist die im Vergleich zu Studienbedingungen mehrfach höhere Rate auch schwerwiegender Blutungskomplikationen.
Die erst im April 2003 zur Publikation vorgesehene, aber schon jetzt elektronisch komplett veröffentlichte PREVENT**-Studie prüft, ob bei idiopathischen
Thrombosen nach initialer Antikoagulation in üblicher Intensität eine Weiterführung mit niedrigeren Dosierungen über längere Zeit von
Nutzen ist.3 508 Patienten ohne Tumorerkrankung und ohne Trauma oder Operation in den zurückliegenden drei Monaten erhalten zunächst
mindestens 3 (durchschnittlich 6,5) Monate lang eine orale Antikoagulation in empfohlener Dosierung (INR 2-3) und anschließend nach Randomisierung
entweder Plazebo oder Antikoagulation in niedriger Intensität (INR 1,5-2). Nur Patienten, die in einer vierwöchigen Vorphase den Compliance-
Anforderungen genügen und mit maximal 10 mg Warfarin (COUMADIN) stabil auf die Zielwerte eingestellt werden können, werden aufgenommen. Bei 38%
sind bereits mehrere Thrombosen vorangegangen, 29% haben eine positive Familienanamnese, 24% bzw. 5% eine Faktor-V-Leiden- bzw. eine Prothrombin-
Mutation.
Nach 2,1 Jahren wird die Studie wegen deutlicher Überlegenheit der Antikoagulation vorzeitig abgebrochen. Bezogen auf 1.000 Patientenjahre treten unter
Plazebo 72, unter Warfarin nur 26 erneute Thromboembolien auf (primärer Endpunkt, 0,001; NNT1 Jahr = 22). Sterblichkeit und Rate
schwerwiegender Blutungen unterscheiden sich nicht. Auch die prädefinierte Risiko/Nutzen-Auswertung durch Kombination der drei Ereignisse fällt
zugunsten der Antikoagulation aus (80 vs. 41 Ereignisse pro 1.000 Patientenjahre, NNT1 Jahr= 25). Kleinere Blutungen sind allerdings unter der
Antikoagulation häufiger (6,7% vs. 12,8%).
Trotz der wichtigen Ergebnisse der methodisch guten, mit staatlichen Mitteln geförderten PREVENT-Studie bleiben Fragen zur optimalen Dauer und
Intensität der Antikoagulation nach idiopathischen Thrombosen offen. Während der gesamten Dauer steigt die kumulative Rate für venöse
Thromboembolien auch unter Antikoagulation stetig an. Nach zwei Jahren liegt sie bei 5%. In früheren plazebokontrollierten Studien mit Patienten nach erster
idiopathischer Thromboembolie wird unter intensiverer Antikoagulation (INR 2-3) schnell ein Plateau für Rezidivereignisse erreicht, das nach 6
Monaten,4 12 Monaten5 und 24 Monaten6 unter dem Niveau von 5% zu liegen scheint. Relevante Blutungen sind dabei allerdings
tendenziell häufiger. Vor diesem Hintergrund wäre in der PREVENT-Studie ein weiterer Arm mit Antikoagulation in üblicher Dosis (INR 2-3) sicher von
Nutzen gewesen.
Es scheint sinnvoll und empfehlenswert, die orale Antikoagulation nach
idiopathischen Thromboembolien über die üblich dosierte sechsmonatige Prophylaxe hinaus über Jahre fortzuführen.
Zu klären bleibt, ob die niedrig dosierte Langzeitantikoagulation bei Patienten
mit hohem individuellen Risiko eine längerfristige oder dauerhafte
Antikoagulation in höherer Dosierung tatsächlich ersetzen kann
Eine individuelle Abwägung für die Intensität der Antikoagulation ist
weiterhin erforderlich.
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