ANTIEPILEPTIKUM OXCARBAZEPIN (TRILEPTAL) |
Seit Februar 2000 ist das Antiepileptikum Oxcarbazepin (TRILEPTAL) zur Behandlung fokaler und sekundär generalisierter tonisch-klonischer
Anfälle in Deutschland auf dem Markt. Von der Oxo-Molekülvariante von Carbamazepin (TEGRETAL u.a.), die in Ländern wie Dänemark
bereits seit zehn Jahren erhältlich ist, werden bessere Verträglichkeit und vor allem weniger Interaktionen erhofft. Oxcarbazepin dient - anders als die in
den 90er Jahren (zunächst) als Zusatz-Antiepileptika eingeführten Mittel Vigabatrin (SABRIL, a-t 1992; Nr. 4: 34
-5), Lamotrigin (LAMICTAL, a-t 1993; Nr. 8: 78-9), Gabapentin (NEURONTIN, a-t 1995; Nr. 5: 51-3), Felbamat (TALOXA, a-t 1995; Nr. 9; 92-3) und
Tiagabin (GABITRIL, a-t 1997; Nr. 5: 54) - auch zur Monotherapie.
EIGENSCHAFTEN: Die pharmakologische Aktivität von Oxcarbazepin beruht hauptsächlich auf dem Monohydroxiderivat. Es
soll spannungsabhängige Natriumkanäle blockieren und so übererregte Nervenmembranen stabilisieren sowie die Ausbreitung postsynaptischer
Impulse vermindern.1
Nach zweimal täglicher Einnahme* wird Oxcarbazepin vollständig absorbiert, in der Leber verstoffwechselt und über die Nieren ausgeschieden. Es
soll weniger Interaktionen hervorrufen, beeinflusst aber ebenfalls Enzyme des Zytochrom-P450-Komplexes und senkt zum Beispiel die Plasmaspiegel oraler
Kontrazeptiva und einiger Kalziumantagonisten. Für viele Isoenzyme ist das Interaktionspotenzial bislang nicht untersucht. Eine Beschleunigung des eigenen
Abbaus (Autoinduktion) wie bei Carbamazepin wird nicht beobachtet.1
KLINISCHER NUTZEN: 102 Patienten mit refraktärer partieller Epilepsie, die ihre gewohnten Antiepileptika abgesetzt haben, um die Indikation
für eine operative Beeinflussung ihres Anfallsleidens prüfen zu lassen, nehmen im Anschluss daran zehn Tage lang Oxcarbazepin oder Plazebo ein. Unter
Scheinmedikament erreichen fast doppelt so viele Teilnehmer (84% vs. 47%) die Kriterien für vorzeitiges Ausscheiden aus der Studie (vierter partieller Anfall,
Status epilepticus u.a.).3 Das Studiendesign dürfte gegen die Deklaration von Helsinki verstoßen, nach der alle Teilnehmer - auch die der
Kontrollgruppe - die nachgewiesenermaßen beste Therapie erhalten sollen (vgl. a-t 1998; Nr. 6: 56).4 Die
gleichen Bedenken bestehen gegen einen bislang nur als Abstract5 veröffentlichten Vergleich von Oxcarbazepin in wirksamer und sehr niedriger
Dosierung ("Pseudo-Plazebo").
In verschiedenen einjährigen Vergleichsstudien bei Patienten mit neu diagnostizierter bzw. zuvor unbehandelter fokaler, primär und sekundär
generalisierter Epilepsie scheint Oxcarbazepin so wirksam wie Carbamazepin, Valproat (ERGENYL u.a.) oder Phenytoin (PHENHYDAN u.a.) zu sein.6-9
Jeweils 50% bis 60% der Betroffenen bleiben anfallsfrei. Alle Studien haben methodische Mängel: Sie sind nicht nach Intention-to-treat-Analyse ausgewertet und
offenbar nicht dafür ausgelegt, überhaupt eine klinische Gleichwertigkeit belegen zu können.10 Auch am Gelingen der Randomisierung
kommen Zweifel auf: Personen der Vergleichsgruppen erleiden vor Studienbeginn zum Teil deutlich mehr Krampfanfälle oder haben häufiger fokale
Anfälle,7,9 die therapeutisch schwerer zu beeinflussen sind. Angaben zur statistischen Relevanz der Unterschiede fehlen zumeist.6,8,9 Bis zu
40% der Teilnehmer scheiden vorzeitig aus. Insgesamt ein bedauerlich schlechtes Datenniveau bei einem Mittel, das bereits seit zehn Jahren vermarktet
wird.
STÖRWIRKUNGEN: Oxcarbazepin löst häufig zentralnervöse Effekte wie Schwindel (bis 49%), Somnolenz (bis 36%), Kopfschmerzen
(bis 32%), Ataxie (bis 31%) und Sehstörungen (Doppelbilder bis 40%) aus sowie Übelkeit (bis 29%) und Erbrechen (bis 36%).11 Bis zu 30% der
Patienten mit Carbamazepin-Allergie reagieren auch auf Oxcarbazepin.1
Das von Carbamazepin bekannte Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH, vgl. a-t 1999; Nr. 3: 40) mit
Wasserretention und Hyponatriämie12 tritt unter Oxcarbazepin offenbar häufiger auf. In verschiedenen Untersuchungen werden erniedrigte
Natriumspiegel bei 23% bis 73% der Anwender beobachtet.13 Die Störung soll selten symptomatisch werden - wegen der regelmäßigen
Elektrolytkontrollen und gegebenenfalls Flüssigkeitsrestriktion unter den Studienbedingungen vermutlich ein Artefakt. Inzwischen gibt es Berichte über
Koma sowie über zwei Todesfälle in Verbindung mit Oxcarbazepin-induziertem SIADH.14-16 Anfängliche Beschwerden wie Müdigkeit,
Schwäche, Verwirrtheit und Kopfschmerzen können leicht mit typischen direkten Störwirkungen von Oxcarbazepin verwechselt werden.16
Regelmäßige Kontrollen des Serumnatriums sind jedoch nur für Patienten mit vorbestehenden Nierenerkrankungen oder bei gleichzeitiger Einnahme
z.B. von Diuretika vorgeschrieben.1
KOSTEN: Oxcarbazepin (TRILEPTAL, 139 DM/Monat bei täglich 1.200 mg) kostet das Zweieinhalbfache des Carbamazepin-Originals TEGRETAL (54
DM/Monat für viermal täglich 200 mg) und das Vierfache eines preisgünstigen Nachfolgepräparates wie CARBA 200 ABZ (35 DM/Monat).
FAZIT: Ob die Carbamazepin (TEGRETAL u.a.)-Variante Oxcarbazepin (TRILEPTAL) wirklich so wirksam ist wie bewährte Antikonvulsiva, lässt
sich trotz mehrjähriger Vermarktung in anderen Ländern anhand der veröffentlichten, methodisch unzulänglichen Vergleichsstudien nicht
beurteilen. Belege für eine bessere Verträglichkeit finden wir nicht. Die hohe Rate potenziell bedrohlicher Hyponatriämien fällt auf. Unseres
Erachtens sind daher engmaschige Kontrollen erforderlich. Angesichts der unzureichenden Nutzendokumentation sehen wir für das teure Oxcarbazepin keine
begründbare Anwendungsnische.
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