Unter Osteoporose versteht man eine Verminderung der Knochenmasse über die Altersnorm hinaus ohne Veränderung der
Zusammensetzung. Zu unterscheiden sind sekundäre, teils kausal behandelbare Osteoporosen (Steroidtherapie, endokrine oder maligne Erkrankungen,
Immobilität, chronische Lebererkrankungen, spezielle Knochen-, Bindegewebs- und Stoffwechselerkrankungen) von den sehr viel
häufigeren (ca. 90%) Altersosteoporosen. 25% der Frauen über 65 Jahre erkranken an einer Osteoporose. Als schwerwiegendste Komplikation kommt es
in Deutschland jährlich zu über 50.000 proximalen Oberschenkelfrakturen mit einer Folgemortalität von ca. 6.000.
Das Auftreten einer Altersosteoporose hängt einerseits von der maximalen Knochenmasse ("peak bone mass") und andererseits vom Knochenverlust
in den Folgejahren ab. Die maximale Knochenmasse wird im 30. bis 35. Lebensjahr erreicht und ist genetisch vorbestimmt. Sie wird jedoch durch hormonelle
Einflüsse und begrenzt durch körperliche Aktivität und Nahrungsgewohnheiten beeinflußt. Der Knochenverlust verläuft zunächst
linear mit einer jährlichen Rate unter 1%.
Bei Frauen kommt es, wahrscheinlich durch Ausfall der Östrogene, in den ersten 10-15 Jahren nach Beginn der Menopause zu einem beschleunigten
Knochenverlust, der bis zu 3,5% jährlich betragen kann. Dieser postmenopausale Knochenverlust ist durch gesteigerten Knochenumsatz gekennzeichnet,
ausgelöst durch vermehrte Resorption bei relativ zu geringem Neuaufbau (Typ I, "High-turn-over"-Osteoporose). Betroffen sind vorwiegend
spongiöse Knochen (Wirbelkörper, distaler Radius). Bei Frauen über 70 Jahre sinkt der Knochenverlust wieder wie bei gleichaltrigen Männern
auf eine Rate bis zu 1% pro Jahr.
Die senile Osteoporose tritt gewöhnlich bei Personen über 75 Jahre auf; sie ist charakterisiert durch verminderten Knochenumsatz infolge reduzierter
Osteoblasten-Aktivität (Typ II, "Low-turn-over"-Osteoporose). Betroffen sind spongiöser und kortikaler Knochen (proximaler Femur und Humerus,
proximale Tibia).
Radiologisch ist erst ein Knochenverlust von 30-50% erkennbar. Die Diagnostik der Osteoporose ist in letzter Zeit durch die duale Photonenabsorptiometrie und
quantitative Computertomographie zuverlässiger geworden. Abhängig von der Lokalisation steigt unterhalb gewisser Knochendichten das Frakturrisiko
deutlich an (Frakturschwelle). Bei Vorliegen von Spontanfrakturen spricht man von einer klinisch manifesten Osteoporose, in letzter Zeit auch häufiger von
Osteofraktose.
Präventivbemühungen konzentrieren sich auf eine Reduzierung des Knochenverlustes, so daß die kritische Frakturschwelle später,
möglichst jedoch gar nicht, erreicht wird. Bei der Therapie der manifesten Osteoporose wird auch eine Stimulation der Knochenneubildung versucht. Letztlich ist
aber nicht der Erhalt oder die Steigerung der Knochenmasse, sondern die Abnahme der Frakturrate das therapeutische Ziel.
Vorbeugung
Als Risikofaktoren für die Entwicklung einer Osteoporose im Alter gelten: prädisponierende Grundkrankheit, Steroidmedikation, positive Familienanamnese,
chronischer Alkohol-, Nikotin- und möglicherweise Koffeinabusus, Inaktivität, grazile Statur, weiße oder asiatische Rasse sowie bei Frauen frühe
Menopause, Ovarektomie und Kinderlosigkeit. Soweit möglich, sollten Risikofaktoren ausgeschaltet werden. Mäßige körperliche Aktivität
in frühen Lebensjahren scheint die maximale Knochenmasse günstig zu beeinflussen und im Alter einen gewissen Schutzeffekt auf den Knochenverlust
auszuüben. Ausreichende Energiezufuhr soll sich ebenfalls günstig auf die maximale Knochenmasse auswirken.
KALZIUM: Die Rolle der täglichen Kalziumzufuhr mit der Nahrung wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Ob wie früher vermutet
die maximale Knochenmasse mit der täglichen Kalziumaufnahme in frühen Lebensjahren korreliert, ist nach kritischer Wertung bisheriger
Untersuchungen zu bezweifeln.1,2 Studien, die eine positive Korrelation nachzuweisen schienen3, berücksichtigten nicht, daß eine
vermehrte Kalziumaufnahme in aller Regel mit vermehrter Energieaufnahme einhergeht. Diese wiederum kann Ausdruck einer größeren körperlichen
Aktivität sein. Von beiden Faktoren ist bekannt, daß sie die Knochenmasse günstig beeinflussen.
Ein von Energieaufnahme und körperlicher Aktivität unabhängiger positiver Einfluß der täglichen Kalziumaufnahme auf die maximale
Knochenmasse ist bisher nicht durch kontrollierte prospektive Studien nachgewiesen. Darüber hinaus ist ein präventiver Effekt einer kalziumreichen
Nahrung auf die Frakturrate ebenfalls nicht belegt. Dagegen gibt es Studien, die keinen Einfluß auf Radiusfrakturen3 oder
Schenkelhalsfrakturen4 finden konnten. Eine allgemeine Kalziumanreicherung der Nahrung ist damit nicht durch Studienergebnisse zu
begründen.
Bei Frauen in der frühen Postmenopause als Risikopersonen für eine Typ-I-Osteoporose kann eine Kalziumtherapie (500-2.000 mg pro Tag über 2
Jahre) den Verlust von trabekulärem Knochen an Wirbelkörpern und Radius nicht aufhalten.5,6,7 Das gilt auch für Frauen mit einer zuvor
als zu niedrig eingeschätzten täglichen Kalziumaufnahme (weniger als 400 mg).7 Kalziumsubstitution von 500 mg pro Tag in der späten
Postmenopause (mehr als 6 Jahre) führt nur bei den Frauen zu einer Minderung des Knochenverlustes (Wirbelkörper, Radius, Schenkelhals), die
gewöhnlich weniger als 400 mg Kalzium pro Tag zu sich nehmen. Bei einer Kalziumaufnahme von 400-650 mg mit der Nahrung besitzt die zusätzliche
Gabe von 500 mg dagegen keinen Effekt.7 Eine Reduktion der Frakturrate durch die Kalziumsubstitution ist auch für postmenopausale Frauen nicht
belegt.
Obwohl ein Nutzen nur für einen kleinen Patientenkreis angenommen werden kann, wird von nahezu allen Autoren eine tägliche Kalziumaufnahme von
800-1.000 mg, für postmenopausale Frauen von 1.500 mg empfohlen. Da hierdurch in aller Regel keine Nachteile zu erwarten sind8 und sich die
empfohlenen Kalziummengen durch Milchprodukte decken lassen, erscheinen solche Empfehlungen vertretbar. Begründet ist die Kalziumsubstitution als
Begleitmedikation zu anderen Maßnahmen (z. B. Östrogenverwendung, s. u.), wenn für die Kombination ein Nutzen gesichert wurde.
ÖSTROGENE: Die Wirksamkeit von Östrogenen zur Prävention der postmenopausalen Osteoporose erscheint durch zahlreiche
retrospektive und prospektive Studien gesichert.9,10,11 Östrogene wirken im Knochengewebe antiresorptiv und vermindern in der Phase des
frühpostmenopausal gesteigerten Knochenumsatzes den beschleunigten Knochenverlust. Eine Zunahme der Knochenmasse tritt dabei nur
vorübergehend auf und ist unbedeutend, weil sich die Knochenneubildung rasch dem reduzierten Abbau anpaßt. Da die Östrogen-Substitution die
Knochenmasse lediglich stabilisiert, sollte hiermit so früh wie möglich, zumindest innerhalb der ersten 2-5 Jahre postmenopausal, begonnen
werden.
Theoretisch ist die Substitution lebenslang fortzuführen, da mit ihrer Beendigung der sonst postmenopausal auftretende beschleunigte Knochenverlust nur
zeitversetzt nachgeholt wird. Aus Unsicherheit über die Auswirkungen einer Langzeit-Östrogen-Substitution beschränken sich die Empfehlungen
derzeit auf 8-12 Jahre, zumal es Hinweise auf einen dann einsetzenden Wirkverlust gibt.12 Durch Verhinderung des postmenopausalen Knochenverlustes
liegt die Frakturrate an Radius,13,14,15 Femur13,14,16,17 und Wirbelkörpern12,18,19 nach 5-7 Jahren um 40-70% niedriger als bei
unbehandelten Frauen.
Empfohlen werden 600 µg konjugierte (PRESOMEN 0,6 u.a.) oder 2 mg natürliche Östrogene (Estradiol [PROGYNOVA]).
Ethinylestradiol (PROGYNON C) ist für diese Indikation wenig untersucht und wahrscheinlich zu wirkstark, Estriol (GYNÄSAN u.a.) nicht ausreichend
wirksam. Zur parenteralen Anwendung erscheinen allein die transdermalen Systeme erfolgversprechend (ESTRADERM TTS).20 Ihre Wirksamkeit und die
theoretisch durch geringere Metabolisierung in der Leber zu erwartende bessere Verträglichkeit sind jedoch noch nicht ausreichend belegt.21 Wie in allen
Studien sollte mit der Östrogen-Substitution eine Kalziumgabe verbunden sein.
Um eine fortdauernde endometriale Stimulation durch die Östrogen-Zufuhr zu vermeiden, wird die Kombination mit einem Gestagen empfohlen,
vorzugsweise zyklisch für die letzten 12 Tage eines jeden Monats. Die genaue Gestagen-Dosierung ist individuell auszutitrieren, Progesteron-Derivate sind zu
bevorzugen (z.B. Medroxyprogesteronazetat [CLINOVIR u.a.] ca. 2,5-10 mg, Chlormadinon [GESTAFORTIN] ca. 5-10 mg).9 Durch den Gestagenzusatz
werden uterine Blutungen kontrolliert, persistieren aber für die Dauer der Substitution.
Das unter alleiniger Östrogen-Substitution wahrscheinlich erhöhte Risiko für ein Karzinom der Gebärmutterschleimhaut wird durch die
Gestagen-Komponente zumindest normalisiert. Möglicherweise durch günstige Einflüsse auf kardiovaskuläre Erkrankungen (Herzinfarkte,
Hirninsulte) nimmt die Gesamtmortalität unter der Östrogen/Gestagen-Substitution ab. Thromboembolische Ereignisse* und Mammakarzinome scheinen
nicht häufiger zu sein, Ovarialkarzinome eher seltener. Als absolute Kontraindikation gelten akute Lebererkrankungen, manifeste hormonabhängige
Tumore (Mamma, Endometrium) und aktuelle thromboembolische Erkrankungen.9,22
* Im NETZWERK sind indes solche Komplikationen, z. B. nach TRISEQUENS u.a. beschrieben.
Daß eine Östrogen-Gestagen-Prophylaxe postmenopausal im Gegensatz zu den bekannten Risiken hormonaler Kontrazeptiva relativ verträglich ist,
läßt sich dadurch erklären, daß es sich um eine Substitution statt um eine Therapie handelt und vorzugsweise natürliche Östrogene
verwendet werden. Es gibt derzeit keine Hinweise, daß der protektive Effekt der Östrogene auf Osteoporose und kardiovaskuläre Erkrankungen
durch die Gestagen-Komponente vermindert wird. Das Gegenteil könnte eher der Fall sein.32
Kontrovers wird beurteilt, welchen Frauen in der Postmenopause eine Substitution zu empfehlen ist. Eine frühe Ovarektomie, primäre und sekundäre
Amenorrhoen sowie im Sinne eines Östrogenmangels zu deutende klimakterische Beschwerden werden allgemein als Indikationen akzeptiert. Im übrigen
wird die Östrogen-Gestagen-Therapie am ehesten für Frauen mit zwei oder mehr der oben genannten Risikofaktoren für die Entwicklung einer
postmenopausalen Osteoporose zu empfehlen sein.
Möglicherweise gelingt es zukünftig, durch serielle Messungen der Knochendichte sogenannte "fast losers" unter den Frauen zu identifizieren
und gezielt zu substituieren. Auch für eine generelle Anwendung bei allen postmenopausalen Frauen finden sich Befürworter.9,22 Andere halten
dagegen eine 10jährige Hormontherapie bei gesunden, asymptomatischen Frauen ohne Risikofaktoren für nicht gerechtfertigt.10,11 Da in
bisherigen Studien Frauen mit und ohne Risikofaktoren nie getrennt untersucht wurden, weiß man nicht, ob sogenannte Risikopatientinnen mehr, genauso oder
sogar weniger von der Substitution profitieren.21 Nach ausgiebiger Information über Nutzen und Risiko der Hormonsubstitution scheinen die meisten
(mehr als 75%) postmenopausalen Frauen die Hormonprophylaxe zu akzeptieren.23
CALCITONIN: Hauptwirkung von Calcitonin (KARIL u.a.) ist ein hemmender Effekt auf die Osteoklasten und damit auf die Knochenresorption. Frauen
weisen postmenopausal einen erniedrigten Serum-Calcitonin-Spiegel auf. Möglicherweise wird der Östrogeneffekt auf den Knochen durch Calcitonin
vermittelt.24 250 µg Calcitonin pro Woche vermögen den frühen postmenopausalen Knochenverlust an den Wirbelkörpern in
gleichem Maße aufzuhalten wie eine Östrogen-Substitution.25
Wegen der bisherigen Notwendigkeit einer parenteralen Gabe mit zum Teil starken Störwirkungen wird die praktikablere nasale Applikation erprobt. Dabei
nimmt unter 50-100 µg täglich über 1-2 Jahre der vertebrale Knochenverlust in der frühen Postmenopause deutlich ab.26,27 Die
Knochendichte im peripheren Skelett bleibt dagegen unbeeinflußt.27
Zur Prävention von Frakturen liegen derzeit noch keine ausreichenden Studien vor. Sollten diese positive und einer Östrogen-Substitution vergleichbare
Ergebnisse erbringen, und sollte sich die intranasale Gabe bewähren, könnte Calcitonin in Zukunft eine Alternative zur Sexualhormonsubstitution werden.
Neben dem Preis wäre zu beachten, daß nicht alle Personen auf die Prophylaxe anzusprechen scheinen und bei anderen nach 1-2 Jahren ein Wirkverlust
möglich ist,24 möglicherweise infolge Antikörper-bedingter Inaktivierung des Wirkprinzips.
DIPHOSPHONATE: Die antiresorptiv wirkenden Diphosphonate haben vielleicht einen Präventiveffekt auf die Entwicklung einer Steroidosteoporose.
In einer randomisierten Doppelblindstudie nahm die Knochendichte an Wirbelkörpern in 12 Monaten überraschend deutlich um ca. 20% zu und blieb an
den Metacarpalknochen zumindest konstant, während unter Plazebo jeweils eine Reduktion festzustellen war.28 Über erste positive Ergebnisse
wurde auch bei der Prävention der postmenopausalen Osteoporose berichtet: Eine 6monatige Tiludronat-Behandlung verhinderte im Gegensatz zu Plazebo
über ein Jahr den Knochenverlust an Wirbelkörpern.29 Dies sind erste günstige Ergebnisse. Der Stellenwert der Diphosphonate in der
Prävention der Osteoporose bleibt zu klären.
VERSCHIEDENE WIRKSTOFFE: Fluoride haben keinen Platz in der Prävention der Osteoporose. Anabolika sind wegen
der bekannten Störeffekte (Hepatotoxizität u.a.) ebenfalls nicht angezeigt.10,11 Da sich im Alter niedrigere Serum-Vitamin-D-Spiegel
finden, wurden Versuche mit einer Substitution unternommen. Jedoch ließ sich der Knochenverlust in der frühen Menopause mit Calcitriol
(ROCALTROL) nicht verhindern. Bei älteren Frauen wurden sogar nachteilige Effekte mit vermehrten Wirbelkörperkompressionen beobachtet.30
Vorstufen von Calcitriol (z.B. Vitamin D2) sind bisher nicht ausreichend untersucht. Eine Vitamin-D-Therapie kann zur Prävention einer Osteoporose nicht
empfohlen werden und sollte nur bei nachgewiesenen Mangelzuständen, die üblicherweise mit einer Osteomalazie einhergehen, erfolgen.
Eventuell vermögen Thiazid-Diuretika durch ihre im Gegensatz zu Schleifendiuretika antikalziurische Wirkung bei Anwendung über mehr als 5
Jahre das Risiko von Schenkelhalsfrakturen zu vermindern.31 Dieser Aspekt sollte bei der Wahl eines Diuretikums im Alter berücksichtigt werden.
FAZIT: Als Allgemeinmaßnahmen zur Prävention einer Osteoporose haben mäßige körperliche Aktivität und eine kalorisch
ausreichende Ernährung, insbesondere in frühen Lebensjahren, einen gewissen Stellenwert. Der präventive Effekt einer kalziumreichen Nahrung ist
zweifelhaft und bisher nur für eine Frauengruppe in der späten Postmenopause wahrscheinlich gemacht. Dennoch wird allgemein eine tägliche
Kalziumaufnahme von 800-1.500 mg empfohlen, vorzugsweise in Form von Milchprodukten.
Östrogene verhindern in der frühen Postmenopause den Knochenabbau und senken das Frakturrisiko. Sie sind bei Frauen mit erhöhtem
Osteoporoserisiko für ca. 10 Jahre postmenopausal zu empfehlen. Die Kombination mit Gestagenen mindert Störeffekte. Gesamt-Morbidität und -
Mortalität werden eher günstig beeinflußt.
Calcitonin (KARIL u.a.) und Diphosphonate vermögen wahrscheinlich ebenfalls den postmenopausalen Knochenverlust aufzuhalten. Eine Reduktion der
Frakturraten ist jedoch nicht ausreichend belegt. Sie könnten zukünftig in besonderen Fällen Alternativen darstellen, sind aber bisher zur
Prävention der Osteoporose nicht zugelassen. Fluoride, Anabolika und Vitamin-D-Präparate sind nicht angezeigt.
In der nächsten Ausgabe: Therapie der Osteoporose
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