PROPHYLAXEVERSAGEN UND DELETÄRE VERLÄUFE NACH FSME-IMMUNGLOBULIN |
Im Unterschied zum östlichen Subtyp der Frühsommermeningoenzephalitis FSME (in Lettland, Rußland, Sibirien etc. vorkommend) hat der
westliche Subtyp eine fast durchweg gute Prognose mit hoher Chance der folgenlosen Ausheilung (ein FSME-Todesfall alle drei bis fünf Jahre in der Schweiz).
Schwerwiegende Verläufe der Viruserkrankung ("antikörperabhängige Verstärkung einer Infektion") kommen indes häufiger nach
Anwendung des spezifischen Hyperimmunserums (FSME-BULIN u.a.) vor. Ähnliches wurde auch nach nach Gebrauch von Masernimmunglobulin
beschrieben.
Allein 1995 gingen dem PAUL-EHRLICH-Institut fünf Berichte über schwerwiegende Verläufe von FSME-Erkrankungen nach Zeckenbiß und
passiver Immunisierung zu. Rund 30 FSME-Erkrankungen in Verbindung mit der passiven Immunisierung interpretiert der Hersteller als Therapieversager. Deutsche
und Schweizer Kinderärzte berichten über FSME-Enzephalitis bei drei Mädchen im Alter von 5 bis 14 Jahren, die gemäß Herstellerangaben
innerhalb von drei Tagen nach Zeckenbiß FSME-Immunglobulin erhielten. Erste Symptome beginnen drei bis sechs Wochen danach. Noch 14 Monate
später leiden die Mädchen unter Halbseitenlähmung, die bei zweien mit therapieresistenter Epilepsie einhergeht. Eine schwere kindliche FSME-
Enzephalitis ohne vorausgegangene passive Immunisierung haben die Autoren in den letzten zehn Jahren dagegen nicht beobachtet.1
FSME-Immunglobulin soll etwa vier Wochen lang vor Infektionen schützen und wird auch nach bereits erfolgtem Zeckenbiß empfohlen. Angaben
über Schutzraten von 60% bzw. 77%, die auf zwei Arbeiten mit Hochrechnungen kleiner Stichproben, retrospektiver Befragung per Telefon und Verwertung
von Aussagen über Drittpersonen beruhen, halten einer Überprüfung nicht stand. Werden die Schätzungen korrigiert, läßt sich keine
signifikante Schutzwirkung erhärten (Schutzrate 54%, Vertrauensintervall 0% bis 68%).2
Im NETZWERK DER GEGENSEITIGEN INFORMATION verzeichnen wir eine "schwerste Pseudomyelitis" bei einem 20jährigen.
Drei Wochen nach Zeckenbiß und rechtzeitiger passiver Immunisierung erkrankt er mit Bewußtseinseintrübung, Ateminsuffizienz und schweren
neurologischen Ausfällen. Die Diagnose FSME wird mehrfach serologisch gesichert (Bericht 6928). Andere Kollegen beschreiben anaphylaktische Reaktionen
(1153, 1216, 2520, 7328), Serumkrankheit (6644) und Krampfanfälle (7328, 7534) in Verbindung mit dem Immunglobulin.
FAZIT: Die passive Immunisierung nach Zeckenbiß mit FSME-Immunglobulin (FSME-BULIN S u.a.) bietet keinen gesicherten Schutz, kann aber
schwere Verläufe mit bleibenden Schäden provozieren. Anbieter und Aufsichtsbehörden ignorieren die von uns seit zwei Jahren geforderte (a-t 1 [1994], 2) überfällige Marktrücknahme.
1 KLUGER, G. et al.: Lancet 346 (1995), 1502
2 AEBI, C., U. B. SCHAAD: Schweiz. Med. Wschr. 124 (1994), 1837
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