LIPONSÄURE (THIOCTACID U.A.) BEI DIABETISCHER POLYNEUROPATHIE |
Bezüglich der Liponsäure erreicht den Arzt in letzter Zeit eine wahre Informationsflut. Nachgerade stereotyp wird in den
Berichten immer wieder die Wichtigkeit der Stoffwechseleinstellung für die Behandlung der diabetischen Polyneuropathie betont; meiner Meinung nach wird die
Glaubwürdigkeit dieser Behauptung dadurch nicht größer. So auch im a-t 2 (1995), 24: "... sich mit optimaler Stoffwechseleinstellung eine
diabetische Neuropathie im Frühstadium behandeln läßt ...".
Für einen Teil der Fälle mag dies sicher zutreffen. Andererseits lernt man schon im Medizinstudium, daß schwere und schwerste diabetische
Polyneuropathien auftreten können, wenn noch nicht einmal ein manifester Diabetes ausgebrochen ist ... Aus eigener tagtäglicher Erfahrung kann ich nur
bestätigen, daß der Schweregrad einer diabetischen Polyneuropathie in einem hohen Prozentsatz von Fällen mit der Höhe des BZ-Spiegels,
also mit der BZ-Einstellung, herzlich wenig zu tun hat. Insofern erscheint mir der Einsatz von Liponsäure bei der diabetischen Polyneuropathie durchaus
gerechtfertigt ...
Dr. med. K. PILLHATSCH (Arzt f. Neurologie, Psychiatrie-Psychother.)
D-93047 Regensburg
Studien mit intensivierter Insulintherapie (Blutzukker-Selbstmessung, häufige Insulininjektionen oder Verwendung von Pumpen u.a.) belegen, daß eine
Stoffwechselbesserung im Frühstadium der diabetischen Polyneuropathie auch die Neuropathie günstig beeinflußt.1 Die Auffassung,
daß "schwerste diabetische Polyneuropathien auftreten können, wenn noch nicht einmal ein manifester Diabetes ausgebrochen ist", wird heute
unter Neurologen nicht mehr aufrechterhalten.2
Etwa jeder zweite Patient mit diabetischer Polyneuropathie spricht auf Plazebo an. Unter Scheinmedikamenten nehmen Schmerzen um etwa 30% ab. Besondere
Schmerzcharakteristika der diabetischen Polyneuropathie können den ausgeprägten Plazeboeffekt erklären: Die klinische Symptomatik fluktuiert
erheblich, die Schmerzwahrnehmung wird von der Höhe des Blutzuckerspiegels beeinflußt, zudem nehmen gerade die polyneuropathischen Schmerzen im
Verlauf der Erkrankung mit der Zeit ab. "Die dadurch bedingte positive Rückkopplung eines relativ großen Teils der Patienten verleitet die Ärzte
zu der (falschen) Annahme, das verordnete Medikament sei als spezifische Substanz wirksam (wie es ihnen zudem von der pharmazeutischen Industrie mit
großem Werbeaufwand eingehämmert wird)",3 Red.
1 | LUFT, D.: intern. praxis 33 (1993), 637 |
2 | REINERS, Universität Würzburg, persönl. Mitt., CHANTELAU, E.,
Diabetes-Ambulanz Düsseldorf, persönl. Mitt. |
3 | HÄSSLER, R. et al.: Z. Allg. Med. 71 (1995), 333 |
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